Es gibt Menschen, die müsste man erfinden, wenn Gott sie nicht selbst erschaffen hätte. Schwester Salesia Reußenzehn war so ein Mensch, so ein Unikum, so eine kernige, zupackende Krankenschwester, eine lebensbejahende Zeitgenossin und liebenswerte Mitschwester.

Nach 92 Jahren gab sie ihr Leben am Samstagabend, 16. November 2024, ihrem Schöpfer zurück. Sie starb in dem Krankenhaus, wo sie am Beginn ihres Ordenslebens jahrzehntelang gewirkt hat.

Geboren wurde Schwester Salesia am 17. September 1932, dem Fest der Wundmale des hl. Franziskus. Sie stammt aus Willanzheim im Landkreis Kitzingen. Ingeborg hatte noch zwei jüngere Geschwister und lebte mit ihren Eltern Salesia und Gregor mitten im Dorf. Ihr Vater betrieb dort eine Schmiede.

Nach dem Besuch der Volksschule in Willanzheim und städtischen Berufsschule in Kitzingen zog Ingeborg mit 15 Jahren nach Großlangheim und lebte bei ihren Großeltern mütterlicherseits fünf Jahre lang. Sie sollte dort die Gast- und Landwirtschaft übernehmen. Als Ingeborg ihren Eltern mitteilte, dass sie ins Kloster gehen will, reagierten die bestürzt. Immerhin waren schon zwei ihrer Tanten Ordensschwestern. Eine Fußwallfahrt nach Gößweinstein ließ ihre Entscheidung reifen, und sie folgte ihrem inneren Ruf.

Mit 20 Jahren trat Ingeborg ins Kloster Oberzell ein und wurde in der Krankenpflegeschule des Juliusspitals in Würzburg zur Krankenschwester ausgebildet. Bei der Noviziatsaufnahme im Oktober 1955 erhielt sie als Ordensnamen den Namen ihrer Mutter. Ihren Namenspatron Franz von Sales verehrte sie genauso wie unseren Ordensvater Franz von Assisi und unsere Gründerin Antonia Werr. Nach dem einjährigen Noviziat legte sie 1956 die Erstprofess für drei Jahre und 1959 die Profess auf Lebenszeit ab.

Große Verantwortung als OP-Schwester

27 Jahre war Schwester Salesia im Operationssaal im Würzburger Juliusspital tätig. Der Dienst als OP-Schwester war anspruchsvoll, vielseitig und mit großer Verantwortung verbunden. Sämtliche vor- und nachbereitenden Arbeiten im OP lagen in ihrer Hand. Tag und Nacht musste sie einsatzbereit sein. Jederzeit konnte ein Notfall eingeliefert werden.

In diesen hohen Belastungssituationen half ihr ihr unverwüstlicher Humor. So schlug sie augenzwinkernd einer Mitschwester im Nachtdienst vor, dass sie gemeinsam eine andere Schwester, die eine ungestörte Nachtruhe hatte, im Bett umdrehen könnten, damit sie keinen Dekubitus bekommt, also nicht aufliegt.

„Es war schon manchmal schlimm, wenn ein Patient nicht mehr zu retten war“, sagte sie, wenn Menschen starben, deren Lebenszeit nach menschlichem Ermessen noch nicht abgelaufen war. Die nötige Kraft gab ihr das Gebet, in das sie ihre Patienten und deren Angehörige immer einschloss. Rückblickend sagte sie einmal, „überwiegt die Dankbarkeit dafür, dass die große Mehrheit aller Operationen gut ausging. Es ist ein schönes Gefühl, anderen Menschen helfen zu können!“

Oberpflegamtsdirektor Leo Rettner stellte ihr zum Abschied aus dem Juliusspital ein hervorragendes Zeugnis aus: „Alle Aufgaben wurden von Schw. M. Salesia mit großem Engagement ausgeführt, wir waren mit ihren Leistungen außerordentlich zufrieden. Der ärztliche Dienst schätzte ihre selbstlose, in jeder Beziehung tadellose Arbeitsweise. Sie war freundlich und verständnisvoll im Umgang mit Patienten und Mitarbeitern. Ihr Ausscheiden wurde allgemein bedauert.“

Ab 1983 in der Generalleitung

1983 wurde Schwester Salesia zur Generalrätin gewählt und musste schweren Herzens ins Mutterhaus umziehen. Dort sorgte sie sich um die vielen älteren und kranken Schwestern in Oberzell sowie auf den Filialen. 1988/89 nahm sie an einem Kurs zur Leitung von Pflegeheimen an der Akademie für Altenhilfe in Regensburg teil.

Sie fuhr Schwestern zu Arztterminen, verband Wunden oder richtete Tabletten. Hier im Kloster gibt es wohl kaum ein Ohr, das sie nicht mit ihrer großen Spritze ausgespült hat. Schwester Salesia verfügte über ein großes medizinisches Wissen und tiefe Menschenkenntnis. Sie stand überall mit Rat und Tat zur Seite, gab kluge Ratschläge, war immer mit Herz und Kopf bei der Sache, treu, zuverlässlich und verbindlich. Dr. Rudolf Klüpfel und unsere jetzigen Hausärztinnen Dr. Sabine Häusner und Vera Söder samt Mitarbeiterinnen hatten sie sehr ins Herz geschlossen und achteten sie sehr.

Unsere Krankenschwestern heute sagen: „Sie hat die besten Verbände gemacht, sie hatte großes Geschick etwa beim Ausschneiden von Zehnägeln. Bei kleinen chirurgischen Eingriffen hat sie nicht lange gefackelt. Da durfte man nicht zimperlich sein.“ Für zart beseidete Gemüter hatte sie nicht immer das nötige Verständnis. Da konnte sie bisweilen auch ein hartes Urteil fällen.

Sterbenden Schwestern beigestanden

Als Krankenschwester begleitete sie jahrelang den Adventspilgerzug des Bistums Würzburg nach Altötting. Sterbenden Schwestern stand sie in ihren letzten Stunden bei und sie hatte keine Berührungsängste mit dem Tod. Sie kleidete Verstorbene an, organisierte Beerdigungen und kümmerte sich um unsere Gruft. „Von denen da unten macht mir keiner mehr Probleme“, sagte sie oft scherzend, „die sind alle brav.“

Das Gemeinschaftsleben bereicherte Schwester Salesia in jeder Hinsicht. Im Juliusspital verwandelten die Schwestern den Speicher in einen Tanzsaal, führten Volkstänze auf oder spielten den Ärzten Streiche. Bei Faschingsfeiern trug sie durch Gedichte oder Spiele zur Unterhaltung bei, an St. Nikolaus schlüpfte sie in das Bischofsgewand. Sie war vielseitig interessiert und unternehmungslustig. Schwestern fuhren gerne mit ihr in den Urlaub. In ihrer Freizeit strickte Schwester Salesia Wollsocken in allen Größen und Farben und sorgte dafür, dass ihre ganze Umgebung warme Füße behielt.

Mit ihrer freundlichen Art hat Schwester Salesia Gäste herzlich empfangen. Sie eroberte die Herzen von Jung und Alt durch lustige Anekdoten und die Gabe der Selbstironie. So erzählte sie öfter, dass sie in ihrer Jugend fast einmal Weinkönigin geworden wäre. Darauf habe ihr eine Mitschwester geantwortet: „Ich dachte, dafür muss man auch schön sein!“ Umso mehr bereitete es ihr Freude, als sie vor ein paar Jahren im Antoniushaus zur Weinkönigin gekrönt wurde.

Positive Lebenseinstellung und tiefer Glaube

Ihre positive Lebenseinstellung und ihr tiefer Glaube halfen ihr in schwierigen Situationen: „Weißte, man muss Vertrauen haben. Der Herrgott macht es schon richtig.“ Wichtig waren ihr das Stundengebet, die eucharistische Anbetung, der Rosenkranz und die Feier der Eucharistie. Gerne übernahm sie auch den Lektorendienst im Stundengebet.

Engen Kontakt hielt Schwester Salesia zu ihren Angehörigen. Ihren Geschwistern und ihren beiden Neffen mit Familien war sie tief verbunden. Sie nahm teil an ihren Freuden und Sorgen sowie an allem, was in Willanzheim vor sich ging und freute sich über Besuche. Für Freunde, ehemalige Kolleginnen, Bekannte und Wegbegleiterinnen war sie eine treue und aufmerksame Freundin.

In den letzten Jahren ließen langsam ihre Kräfte nach. Vor vier Jahren kam sie zur Kurzzeitpflege ins Antoniushaus, wo sie dann ganz blieb. In ihrem Zimmer im Erdgeschoss fühlte sie sich wohl. Dort hatte sie frische Luft und konnte die Vögel beobachten. Natürlich machte sie sich weiter auf der Krankenstation nützlich, legte Zeitschriften aus, half beim Wäsche zusammenlegen und pflegte den Kontakt mit den Mitschwestern.

Nach ihrem Sturz besuchte ich Schwester Salesia auf der Intensivstation des Juliusspitals. Dort war mir klar, dass sie wohl nicht mehr lange leben würde. Also dankte ich Schwester Salesia für ihr Leben und Wirken in der Kongregation, sagte ihr, was sie mir und vielen Menschen bedeutet hatte. Schmunzelnd meinte sie: „Das ist ja eigentlich auch ganz schön, das mal zu hören.“ – „Naja, Schwester Salesia, antwortete ich: Wir sind doch Franken. Nix gsacht ist gelobt genug!“ Dann beteten wir das Vaterunser und einigten uns auf die wichtigste Bitte: „Dein Wille geschehe.“

Liebe Schwester Salesia, ich schließe mit dem Nachtgebet, das Du oft verrichtet hast, wenn Du zu müde warst, um noch lange Gebete aufzusagen: „Hier liegt dein Knecht von Sales. O Herr, verzeih’ ihm alles.“

Sr. Katharina Ganz, Generaloberin