„Um Mitternacht erscholl der Ruf: Siehe, der Bräutigam ist da! Geht ihm entgegen!“ Auf diesen Ruf hatte Sr. Gottlinde gewartet und sich danach gesehnt, von Gott heim geholt zu werden. Am Sonntag, den 20. Juni, kurz nach Mitternacht, erfüllte sich diese Sehnsucht. Schwester Gottlinde wurde am 13. Juli 1928 in Unterleiterbach bei Zapfendorf im Landkreis Bamberg geboren und einen Tag später auf den Namen Katharina getauft. Ihre Eltern lebten von der eigenen Landwirtschaft. Katharina war die Älteste von vier Geschwistern und wuchs in einer religiösen Familie auf.
Mit sechs Jahren besuchte Katharina von 1934 bis 1942 die Volksschule in Unterleiterbach und anschließend zwei Jahre die Berufschule in Zapfendorf. Im Herbst 1947 belegte sie einen Kurs für Haushaltsführung bei den Dominikanerinnen in Polling. Bis zu ihrem Klostereintritt arbeitete sie im Haushalt und in der Landwirtschaft ihrer Eltern mit. Bereits als junge Frau spürte Katharina die Sehnsucht, Christus im Ordensleben nachzufolgen. Die Oberzeller Schwestern kannte sie, da es in der Nähe ihres Heimatortes mehrere Niederlassungen gab. Über die Kontakte zu den Schwestern lernte sie unsere Gemeinschaft näher kennen und trat Ende August 1948 in unsere Kongregation ein.
Als Kandidatin besuchte Katharina von 1949 bis 1951 die Krankenpflegeschule im Juliusspital und legte im März 1951 das Examen ab. Im Anschluss an die berufliche folgte die klösterliche Ausbildung. Katharina wurde im Mai 1951 in das einjährige Noviziat aufgenommen und erhielt den Namen Schwester Maria Gottlinde. 1952 legte sie die Erstprofess für drei Jahre ab. Anschließend arbeitete sie als Krankenschwester in der Krankenabteilung des Mutterhauses. Von 1953 bis 1955 absolvierte Sr. Gottlinde die Ausbildung zur Hebamme im St. Elisabethen-Krankenhaus in Köln-Hohenlind. Wenige Wochen nach ihrem Examen schloss sie sich im Mai 1955 auf Lebenszeit unserer Gemeinschaft an. Anschließend bereitete sie sich auf ihren Missionseinsatz vor und sammelte dafür im Juliusspital weitere Berufserfahrung.
Am 23. September 1956 wurde Sr. Gottlinde zusammen mit Sr. Cordula Bundschuh nach Südafrika, in unsere noch junge Missionsstation, ausgesandt. Abt Burkard Utz von Münsterschwarzach erteilte den beiden Missionarinnen den kirchlichen Missionsauftrag. Am 8. Oktober 1956 verabschiedeten sich die beiden Schwestern und traten ihre Reise mit dem Schiff nach Durban an, wo sie 20 Tage später wohlbehalten in der Hafenstadt vor Anker gingen und von den Mitschwestern abgeholt wurden. Zunächst lebte Sr. Gottlind bei unseren Schwestern in Eshowe, einer Kleinstadt, wo sich die Missionsstation im Aufbau befand. Sie arbeitete in allen Bereichen mit und lernte ihre neue Heimat kennen. Nebenbei eignete sie sich die englische Sprache an.
Krankenschwester und Hebamme
Weil ihre deutschen Abschlüsse als Krankenschwester und Hebamme in Südafrika nicht anerkannt wurden, wiederholte Schw. Gottlinde die Ausbildungen von 1958 bis 1960 nochmals in Nongoma und legte abschließend ihre Prüfungen in Englisch ab. 1960 wurde Schwester Gottlinde nach Mbongolwane, ins ländliche Zululand versetzt. Dort arbeitete sie als Krankenschwester und Hebamme im Missionshospital und bildete in der angegliederten Krankenpflegeschule junge afrikanische Frauen aus. In Mbongolwane begegnete Sr. Gottlinde großer Armut, Unterentwicklung und der sozialer Ungerechtigkeit, die aufgrund des politischen Apartheid-Systems in Südafrika das gesellschaftliche Leben bestimmte. Das fruchtbare Land gehörte zum größten Teil den Nachfahren der weißen Kolonialherren. Die afrikanische Bevölkerung durfte nur in den sogenannten Homelands siedeln und musste mit kärglichen Boden vorlieb nehmen.
Die Frauen hatten fast das ganze Jahr allein für ihre Kinder und die Alten zu sorgen. Der Schulunterricht fand teilweise nur unregelmäßig statt und die Kinder legten zum Teil weite Wege bis zur Schule zurück. Viele Männer suchten Arbeit in den großen Städten oder auf den Zuckerrohrplantagen der weißen Farmer. Viele von ihnen kamen nur einmal im Jahr im Sommerurlaub für mehrere Wochen nach Hause. Immer wieder wurden kranke oder behinderte Kinder im Hospital abgegeben und nicht wieder abgeholt. Auch die in den Zuckerrohrfeldern ausgesetzten Kinder wurden im Hospital bei den Schwestern in Mbongolwane aufgenommen. Das Hospital konnte jedoch keine adäquate pädagogische Betreuung und Erziehung für die Kleinkinder vorhalten.
Die Ausbildung und Qualifizierung von afrikanischem Pflegepersonal war Sr. Gottlinde ein wichtiges Anliegen. Sie erkannte vorausschauend, dass junge Frauen damit ein eigenes Einkommen verdienen könnten und sich langfristig auch die medizinische Versorgung in den Homelands verbessern würde. Gerne gab sie deshalb den jungen Frauen, die zum Teil nur geringe Englischkenntnisse hatten, Nachhilfe und bereitete sie gründlich auf die Prüfungen vor, die auch die Zulus in Englisch ablegen mussten. Noch immer bedauern die alten afrikanischen Krankenschwestern, die Sr. Gottlinde gekannt haben, ihre Rückkehr nach Deutschland und vermissen sie sehr. Sie erinnern sich gerne an die gute Atmosphäre innerhalb des Teams und das familiäre Miteinander.
Kinderheim eröffnet
1978 übernahm Regierung von die KwaZulu-Natal das Krankenhaus und die Krankenpflegeschule in Mbongolwane. Unsere Schwestern arbeiteten zunächst als Angestellte weiter. Mit ihrem Ausscheiden aus der Klinik in Mbogolwane konnten Sr. Gottlinde, Sr. Lucella und Sr. Elkana dann aber einen schon längst gehegten Traum verwirklichen. Gemeinsam eröffneten sie 1988 das Kinderheim „Place of Savety“, um ausgesetzten und misshandelten Kindern eine angemessene Unterkunft, liebevolle Versorgung, Förderung und Erziehung zukommen zu lassen. Sr. Gottlinde kümmerte sich besonders um Kinder, die entwicklungsverzögert waren oder eine körperliche Behinderung hatten. So trainierte sie z. B. lange Zeit mit einem Jungen, der nicht laufen konnte. Sie massierte ihm täglich, stellte ihn auf seine Füße und unterstütze ihn bei Übungen, bis er schließlich das Gehen erlernt hatte. Die Kinder hatten eine enge Beziehung zu Sr. Gottlinde. Viele schrieben ihr Briefe nach der Entlassung oder der Unterbringung bei Pflegeeltern. Dazu gehört auch Sibusiso, mit dem sie bis zuletzt in engem Briefkontakt stand und der für sie wie eine Mutter war.
Sr. Gottlinde war eine kluge, besonnene und zurückhaltende Schwester. Ihre Kraft schöpfte sie aus dem Gebet und der Feier der Eucharistie. In ihrer Arbeit trug sie große Verantwortung, war zuverlässig und immer hilfsbereit. Sie hatte Humor und konnte herzlich lachen. Zu ihren Hobbys zählten lesen und singen. Eine besondere Freude war es für sie, wenn es an Festtagen Laugenbrezeln und Bier gab. 2005 kehrte Sr. Gottlinde aus gesundheitlichen Gründen nach Deutschland zurück und verbrachte im Franziskushaus ihren Ruhestand. Im Februar 2018 wurde sie aufgrund ihrer nachlassenden Kräfte ins Antoniushaus verlegt.
In Gesprächen sagte sie, dass sie bereit sei, zu sterben und auch darauf warte. Aufgrund eines Sturzes am 9. Juni erlitt sie einen Oberschenkelhalsbruch und wurde ins Juliusspital eingeliefert. Ihr Allgemeinzustand war sehr geschwächt und sie erholte sich von den Folgen nicht mehr. Am 20. Juni, kurz nach Mitternacht gab Sr. Gottlinde im Alter von 92 Jahren, ihr reiches und erfülltes Leben in Gottes Hände zurück. Möge sie nun ruhen in Frieden.