Denk du in mir, o Jesus, dann denk ich licht und klar.
Sprich du durch mich, o Jesus, dann sprech ich mild und wahr.
Wirk´ du in mir, O Jesus, gerecht ist dann mein Tun,
geheiligt meine Arbeit, geheiligt auch mein Ruh´n.
Erfüll mein ganzes Wesen, durchdring mein ganzes Sein,
dass man aus mir kann lesen, die große Liebe dein!
Mach, dass ich hier auf Erden durch deiner Gnad Gewalt,
kann allen alles werden, komm werd in mir Gestalt.
(Autor unbekannt)

Dieses Gebet hat Sr. Venantia oft gebetet. Sie war ganz und gar durchdrungen von einer innigen Beziehung zu Jesus. Auf Schritt und Tritt hat sie sich mit ihm unterhalten. Ihr ganzes Leben, ihre Beziehungen, Ereignisse in Kirche, in unserer Gemeinschaft und in der Welt hat sie unter dem Kreuz mit Jesus besprochen.

Wenige Wochen nach Vollendung ihres 93. Lebensjahres ist sie im Advent eins mit Jesus geworden.

Aufgewachsen war sie als Elisabeth in Soden/Sulzbach im Landkreis Miltenberg. Ihre Eltern Otto und Mathilde Maier hatten elf Kinder, Elisabeth hatte noch einen Zwillingsbruder. Als Schachtmeister war ihr Vater viel unterwegs. Ihre Mutter war sehr religiös. Von ihr wurde Elisabeth an das Gebet herangeführt. Früh lernte sie von ihr, für andere zu sorgen. Schon als Kind kümmerte sie sich um Nachbarskinder.

Nach dem Schulabschluss arbeitete Elisabeth als Angestellte im Haushalt eines Chefarzts in Aschaffenburg. Sie kochte, verantwortete die Wirtschaftsführung, verstand es mit den Kindern umzugehen und fühlte sich in der Familie wie zuhause. So war das Bedauern bei den Puppels groß, als Elisabeth ihre Stelle kündigte, um ins Kloster zu gehen.

In Aschaffenburg hatte sie sich bei den Kapuzinern einer franziskanischen Jugendgruppe angeschlossen und war in den Dritten Orden beigetreten. Und Elisabeth kannte Klara Müller, unsere heutige Schwester Hermosila. Sie erzählte ihr vom Klaraheim in Aschaffenburg, einem Wohnheim für Mädchen, in dem Oberzeller Schwestern tätig waren. „Ich wollte wohin, wo Kinder sind, und zwar zu solchen, die niemanden haben“, sagte sie rückblickend auf ihr Leben.

Am Gedenktag von Bernhard von Clairvaux fuhr sie nach Oberzell und meldete sich an. Eingetreten ist sie am Silvestertag 1953. „Ich habe es nie bereut, diesen Weg gegangen zu sein. Ich wollte Gott einfach dienen, besonders in den Ärmsten und Kindern“, fasste sie ihre Berufung zusammen. Bei der Einkleidung am 4. Mai 1955 erhielt sie den Ordensnamen Sr. Maria Venantia. Ein Jahr später legte sie zeitliche Gelübde, und 1959 die Profess auf Lebenszeit ab.

Wirk´ du in mir, O Jesus, gerecht ist dann mein Tun,
geheiligt meine Arbeit, geheiligt auch mein Ruh´n.

1956 wurde Sr. Venantia in das Mädchenheim nach München-Thalkirchen versetzt. Zehn Jahre lang vermittelte sie als Arbeitserzieherin den Jugendlichen hauswirtschaftliche Fertigkeiten. Ab 1965 wechselte Sr. Venantia in den Gruppendienst und besuchte 1968 das berufsbegleitende Aufbauseminar für Heimerzieherinnen in München. Im März 1973 zog sie in das geschlossene Mädchenheim nach Gauting um, wo sie drei Jahre als Gruppenerzieherin wirkte.

Aus gesundheitlichen Gründen musste sie die Heimerziehung aufgeben und wurde in das Antoniushaus nach Würzburg versetzt. Hier war sie zunächst als Wirtschaftsschwester im Haushalt eingesetzt.

Denk du in mir, o Jesus, dann denk ich licht und klar.
Sprich du durch mich, o Jesus, dann sprech ich mild und wahr.

Schließlich wurde sie gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, in der Altenpflege zu arbeiten. Diese Entscheidung fiel Sr. Venantia nicht leicht, weil sie sehr gerne mit jungen Menschen zusammen war. Täglich besuchte sie das Grab der Gründerin auf dem Friedhof hinter dem Antoniushaus und betete um die richtige Entscheidung, bis sie ihr „Ja“ sagen konnte. 1977/78 besuchte sie die Fachschule für Altenpflege im Juliusspital in Würzburg und leistete dort ihr einjähriges Berufspraktikum ab.

Danach war Sr. Venantia 14 Jahre lang im St. Raphaelsheim in Würzburg eingesetzt, wo sie alte Damen betreute und pflegte, bis sie 1995 in unser eigenes Altenheim versetzt wurde. Auch im Antoniushaus widmete sie sich mit großem Einfühlungsvermögen den pflegebedürftigen Mitschwestern. Ab 1999 lebte Sr. Venantia im Konvent Padua und arbeitete weiter auf der Pflegestation. Nach dem Ausscheiden aus der aktiven Pflege übernahm sie ab 2001 gerne den Pfortendienst und half im Haushalt mit.

Erfüll mein ganzes Wesen, durchdring mein ganzes Sein,
dass man aus mir kann lesen, die große Liebe dein!

Sr. Venantia war praktisch veranlagt. Mit Hilfe ihres kleinen Werkzeugkastens nahm sie kleine Reparaturen selbst vor. Mit ihren Bastel- und Werkarbeiten machte sie anderen Freude. Mit ihrem grünen Daumen kümmerte sie sich um Blumentöpfe, Balkonkästen und zog Pflanzen nach. Sr. Venantia war hilfsbereit und wertschätzend, gab positive Rückmeldungen, lobte andere für ihre Dienste und nahm nichts selbstverständlich. Sie war einerseits gerne in Gemeinschaft, liebte das Gespräch und den Austausch mit den Mitschwestern. Andererseits ging sie Spannungen aus dem Weg, indem sie sich in ihr Zimmer zurückzog.

Mach, dass ich hier auf Erden durch deiner Gnad Gewalt,
kann allen alles werden, komm werd in mir Gestalt.

Die Pflege des religiösen Lebens war Sr. Venantia sehr wichtig. Täglich las sie in der Heiligen Schrift, die immer aufgeschlagen auf ihrem Tisch lag. Die Erzählung von der Heilung des blinden Bartimäus liebte sie sehr; nicht zuletzt deshalb, weil ihre eigene Sehkraft mit zunehmendem Alter nachließ. An den Gottesdiensten und Gebetszeiten der Gemeinschaft nahm sie zuverlässig teil. Mindestens genauso kostbar waren ihr der private Besuch in der Kapelle und die stillen Zeiten in ihrem Zimmer. „Das ist meine Zeit mit Jesus“, sagte sie oft. Täglich betete sie unter dem Kreuz und brachte dort alle ihre Anliegen vor Jesus.

Großen Wert legte Sr. Venantia auf ihre jährlichen Einzelexerzitien und persönliche geistliche Begleitung. Und es ist sicher nicht übertrieben zu sagen, dass sie eine mystische Begabung hatte. In inneren Visionen wurden in ihr Gewissheiten über sich selbst oder anderen Menschen geschenkt und Gott zeigte ihr die nächsten Schritte im geistlichen Leben. Im September zog Sr. Venantia auf die Pflegestation.

In einem inneren Bild zeigte ihr Christus einen weiten, schmalen Weg, der oben zu einem Licht führte mit einer Tür am Ende. Wir dürfen glauben, dass ihr Jesus am 9. Dezember vom Ende des Weges entgegen kam und ihr das Adventstürchen weit aufmachte.

Sr. Rut Gerlach