Ich bin Oberzeller Franziskanerin,
weil ich gerne wie Antonia Werr unter und mit den Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit mit all ihren Alltagssorgen leben wollte. Die franziskanischen Werte, das einfache Leben mit einer großen Offenheit für die Menschen sind mir sehr nah.
Ich komme aus einer religiösen Familie. Als Älteste von sechs Kindern bin ich in einem Dorf bei Boxberg (Nähe Bad Mergentheim) aufgewachsen. Wir gingen fast jeden Tag in die Kirche, mit den Eltern und Großeltern am Sonntag, unter der Woche mit meinen Geschwistern vor der Schule. Auch mit dem Ordensleben kam ich früh in Berührung, da auf mütterlicher und auf väterlicher Seite Ordensschwestern in der Verwandtschaft waren. Ich erinnere mich noch gut, wenn meine Tante – eine Hiltruper Schwester – uns besuchte und von ihrem Leben als Missionarin in einem Krankenhaus in Australien spannende Geschichten erzählte. Damals wurde ein erster Samen gelegt, dass ein Leben in einer Gemeinschaft eine Option für mich wäre.
Mit zwölf Jahren ging meine Cousine nach Oberzell, um dort im Internat auf die Mittelschule zu gehen, heute vergleichbar mit der Realschule. Das wollte ich unbedingt auch. Jedoch hatten wir keine 120 DM Schulgeld pro Monat. Als sich unser Dorfpfarrer dafür einsetze, kam ich nach einer Aufnahmeprüfung 1959 nach Oberzell. Somit begann ein neuer prägender Lebensabschnitt für mich. Auch wenn mich zu Beginn das Heimweh sehr plagte, taten sich ganz neue Horizonte auf. Ich entdeckte viel Neues, lebte mit Mädchen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen
und lernte die Oberzeller Schwestern kennen, die ich als sehr menschlich und zugewandt erlebte. Wir spürten damals alle, dass die Lehrerinnen und Erzieherinnen uns etwas fürs Leben beibringen wollten. Wir Schülerinnen wurden oft zu Festen der Gemeinschaft und des über der Straße liegenden Heimes eingeladen. Wir erfuhren dadurch viel von der Lebensweise und den Aufgaben der Schwestern. In diesen vier Jahren wurde Oberzell ein Stück Heimat für mich. Auch mein Interesse an dieser Lebensform vertiefte sich.
Sehr empfänglich für Spirituelles las ich Lebensbeschreibungen wie von Augustinus oder der heiligen Teresa. Als ich dann 1963 mit der Schule fertig wurde, durfte ich eine Filiale der Schwestern in der Nähe von München näher kennenlernen: mir wurde ein Praktikum in einem Mädchenheim der Gemeinschaft angeboten. Dort unterrichtete ich Stenografie und Schreibmaschine, machte für die Schwestern Botengänge und war im Gruppendienst mit eingeteilt.
In diesen Monaten lernte ich im Heim hautnah den Sendungsauftrag der Kongregation kennen. Die Schicksale der Mädchen berührten mich sehr. Erst dort verstand ich, wie privilegiert ich im Vergleich mit den dort lebenden benachteiligten Mädchen doch war. Ich spürte eine starke Dankbarkeit für mein Gewordensein in meiner Familie und wollte dazu beitragen, Mädchen, die nicht solche Erfahrungen machen durften, wieder aufzurichten. Daher bat ich im Juli 1964 die Generaloberin um Eintritt ins Kloster. Zunächst besuchte ich das Kindergartenseminar St. Hildegard und nach meiner Erstprofess fing ich 1969 in St. Ludwig in der Mädchenarbeit an. In den kommenden Jahren absolvierte ich die heilpädagogische Zusatzausbildung.
Die Arbeit in den Gruppen mit jeweils 15 Mädchen war herausfordernd für mich, da ich ja selbst noch eine sehr junge Frau war. Nicht zu jeder Jugendlichen bekam ich eine gute Beziehung, um ihr Unterstützung sein zu können. Sehr hilfreich war die Gemeinschaft der vielen gleichaltrigen Mitschwestern. Durch den Wechsel der Heimleitung kam große Offenheit in das Leben der Mädchen und in das Verständnis für diese Arbeit. Dieses Zusammenspiel erleichterte den herausfordernden Dienst mit den Jugendlichen. Auch die Aufmerksamkeit der verantwortlichen Mitschwestern für persönliche und berufliche Weiterbildung stärkte uns. 1979/80 hatte ich ein Jahr Auszeit – das war vor allem eine spirituelle und gemeinschaftliche Stärkung und Neuorientierung. Auch mein achtmonatiges Mitleben in verschiedenen anderen Einrichtungen weitete meinen Blick.
Nach 55 Jahren Profess bin ich heute dankbar, dass ich auf diesem Berufungsweg und in unserer Gemeinschaft geblieben und daheim bin. Seit 2022 lebe ich wieder im Konvent Magdala. Gemeinsam mit geflüchteten Frauen unter einem Dach, ist der Sendungsauftrag sehr nahe. Herausfordernd und gleichzeitig bereichernd ist und bleibt, in dieser Zeit des großen Wandelns des Ordenslebens und der starken Überalterung unserer Gemeinschaft, dieses Leben in einem generationsübergreifenden Konvent. Doch die Aufbruchstimmung lässt Hoffnung auf die Zukunft und das Weitertragen unseres Sendungsauftrages spüren. Es ist und bleibt weiterhin ein Weg ins Vertrauen.