Am 14. April hat das Bayerische Ökumenische Netz für Flüchtlingsarbeit und Kirchenasyl zum 25. Studientag nach Nürnberg eingeladen. Ein Vierteljahrundert ist vergangen, schrieben die Veranstalter, aber die Nöte der Geflüchteten und die politischen Widerstände sind geblieben.
Grund genug, um sich wie jedes Jahr zu treffen, sich auszutauschen, neueste Informationen zu erhalten und sich gegenseitig zu stärken. Sich ermutigen lassen auch und gerade im Vertrauen auf Gottes Gegenwart, auf die Zusage aus dem Jesajabuch „Weiche nicht!“. Recht und Gerechtigkeit werden im Psalm 33 in einem Satz erwähnt, dennoch erleben wir im Alltag, in der Arbeit geltendes Recht oft als ungerecht. Regionalbischof Prof. Dr. Stefan Ark Nitsche ermutigte dazu, uns einzusetzen, dass Recht und Gerechtigkeit zusammenkommen. Das steht uns als Kirche gut zu Gesicht, sagte er, auch dass wir Zufluchtsorte schaffen, so wie der Tempel im alten Jerusalem ein Zufluchtsort für Menschen war.
„Die Wahrheit ist konkret“, schrieb Dorothee Sölle und so war auch Pfarrerin Birgit Duschkowas Weg in die Flüchtlingsarbeit geprägt – durch konkrete, direkte Begegnungen. Sie ist Pastorin für Flüchtlingsarbeit in Elmshorn bei Hamburg und sprach über „Asyl unter Druck – Chancen und Risiken“. Viele Regeln, wie z.B. die Dublin Regelung, zunehmend einengende Gesetze, die schwere Umsetzbarkeit der Ausbildungsduldungen, eine zu hohe Arbeitsbelastung und vieles mehr erzeugt Druck. Dieser kann negativ, aber auch positiv sein – er kann Kopf- oder Rückenschmerzen, Depressionen etc. hervorrufen oder auch etwas Neues formen, in Bahnen lenken. Druck erfahren gerade viele Pfarrer/innen, Ordensleute und Menschen in kirchlicher Verantwortung, die für gewährtes Kirchenasyl Anzeigen erhalten. Fr. Duschkowa lud uns ein, herauszutreten aus dem „Druck“ und einzutreten in etwas „Anderes“, uns einer anderen, neuen Wirklichkeit anzuvertrauen – uns Ihm neu anzuvertrauen. Flüchtlingsarbeit ist ein „Langstreckenlauf“, sagte sie, und kein Einzelkämpfertum, sondern Gemeinschaftsarbeit. Sie betonte, dass gerade in der Arbeit mit Geflüchteten eigene, alte Wunden „aufplatzen“ und es dringend notwendig und Notwendend ist, sich dann den eigenen Verletzungen zuzuwenden, für sich zu sorgen, in den Abstand zu gehen. Wir sind nicht die „Retter der Welt“, sagte sie, aber wir haben Anteil an der Rettung und wir wissen um den, der rettet. Am Ende ihres Vortrages lud sie uns ein widerständig zu sein, nicht zu weichen – aber nicht als Reaktion auf einen äußeren Druck, nicht als „schräge Vögel“, sondern in dem Selbstbewusstsein und der Selbstverständlichkeit, dass wir das Gebot der Nächstenliebe leben, indem wir uns für Schwache einsetzen.
Sehr ernüchternd, fast erschreckend war der zweite Vortrag von Maximilian Pichl aus der Universität Kassel, der unter dem Thema „Blick nach vorne“ stand. Ein positiver Blick sei schwer, sagte Hr. Pichl, da es aktuell auf europäischer Ebene tiefgreifende Veränderungen gibt, die massiven negativen Einfluss auf das Asylrecht in Deutschland haben, aus seiner Sicht eher Rückwärtsschritte. Die wichtigsten Regeln sind im europäischen Asylrecht, nicht im Nationalen, festgelegt. Ein Ziel der EU-Kommission ist es, auf alle Fälle die Reisefreiheit aller EU-Bürger aufrecht zu erhalten. Alle EU-Mitgliedstaaten sollen gleich viele AsylbewerberInnen aufnehmen. Dazu ist eine Reform der Dubliner Verordnung (=jeder Geflüchtete darf nur in dem Land, in welches er/sie zuerst einreist, einen Asylantrag stellen) geplant:
Unzulässigkeitsverfahren: bevor ein Geflüchteter überhaupt einen Asylantrag in einem europäischen Land stellen kann, soll künftig geprüft werden, ob sein Antrag unzulässig ist, weil er aus einem „sicheren“ Drittstaat kommt. Zu den sicheren Drittstaaten zählt neben den Balkanländern auch die Türkei, es gibt und gab schon Verhandlungen mit Libyen. Konsequenz ist, dass die Migrationskontrolle nach außen verlagert wird, d.h. Geflüchtete kaum noch eine Chance auf ein Asylverfahren in der EU haben.
Abschaffung der verbindlichen Fristen:
Aktuell kann ein/e AsylbewerberIn bis zu sechs Monate nach der Einreise in das Erst-Einreiseland zurückgebracht werden, künftig soll diese Rückführung unbefristet möglich sein.
Abschaffung des Selbsteintrittsrechtes für humanitäre Notsituationen
Bis jetzt war es möglich, in humanitären Notsituationen Geflüchteten den Selbsteintritt zu gewähren, obwohl sie schon in einem anderen EU Land einen Asylantrag gestellt haben. Ein Beispiel dafür ist der Herbst 2015, in dem viele Geflüchtete unter schrecklichen Bedingungen in Ungarn gestrandet waren und Bundeskanzlerin Angela Merkel entschieden hat, diesen Personen einen Selbsteintritt zu gewähren, d.h. sie durften in Deutschland einreisen und hier ihren Asylantrag stellen (obwohl ihr Ersteinreiseland Ungarn war). Politisch war diese Entscheidung damals absolut rechtmäßig, wird aber in Diskussionen fälschlicherweise oft als Rechtsbruch dargestellt. Künftig sollen keine humanitären Gründe mehr für einen Selbsteintritt zählen, Ausnahmen gibt es nur noch bei familiären Härtefällen.
Gewährung von materiellen Leistungen
Viele Jahre und viele „Kämpfe“ hat es gedauert, bis die Essenspakete für AsylbewerberInnen abgeschafft wurden und es damit mehr Selbstbestimmung und auch weniger weggeworfenes Essen gab. Personen, die schon in einem anderen EU-Land waren (die Meisten, die nach Deutschland kommen) sollen künftig gar keine finanziellen Leistungen, nur materielle Sachleistungen zum Überleben erhalten.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (sog. UMF’s)
Die EU-Kommission sieht es als kindswohlförderlich an, wenn das Asylverfahren im Ersteinreiseland durchgeführt wird, d.h. auch für sie gilt dann die Dublin- Regelung (sie waren bis jetzt ausgenommen). Die medizinische Altersfeststellung soll verbindlich stattfinden und auch EU-weit gegenseitig anerkannt und übernommen werden. Von Seiten der Ärzte kommt schon seit Jahren Kritik bzgl. der Art der Altersfeststellung.
Durch die geplante Reform des Asylrechts werden Flüchtlingsrechte in der EU eingeschränkt, Zugang zu Rechtsstaatlichkeit wird verhindert und Illegalität wird steigen.
Dann berichtete Hr. Pichl noch über seine Erfahrungen in Ungarn, er hat über seine Arbeitsstelle an der Universität Kassel während des Wahlkampfes und der Wahl einige Zeit dort verbracht. Er berichtet, dass er noch nie einen so anitsemitischen und anitmuslimischen Wahlkampf erlebt hat, der aufgebaut war auf Verschwörungstheorien. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat beobachtet, dass es keine gleichberechtigten Wahlen waren. Ungarn wurde schon mehrfach von der EU für vorliegende Menschenrechtsverletzungen gerügt (Hr. Pichl selbst hat Geflüchtete getroffen, die massive körperliche Verletzungen von Gewalterfahrung an den Grenzzäunen hatten!!). Aber trotzdem beglückwünschen deutsche Politiker Viktor Orban zu seiner Wiederwahl, sie stützen damit ein rassistisches und antisemitisches Regime. Hr. Pichl betonte besonders deutlich, dass das, was in Ungarn passiert, uns alle angeht – es ist EU-Politik. Am Nachmittag gab es dann Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen.
Am Ende wurde eine gemeinsame Erklärung formuliert, in der gefordert wird, dass alle schon laufenden Strafverfahren bzgl. Kirchenasyl sowohl für die Geflüchteten als auch für VertreterInnen der Kirche sofort eingestellt und keine neuen Strafverfahren eingeleitet werden sollen. Alle TeilnehmerInnen des Treffens stimmten dieser Forderung zu. Es war ein zum Teil sehr ernüchternder und erschreckender Tag in Bezug auf anstehende Veränderungen, aber gleichzeitig auch bereichernd und unterstützend in der Vernetzung und der gegenseitigen Bestärkung.
Sr. Juliana Seelmann