Sich vorstellen, nach dem Weg fragen oder ihn jemandem erklären – es sind ganz alltägliche Dinge, die Gerhard von Hinten seinen Schülerinnen beibringt. Drei Frauen sitzen an diesem Mittwochnachmittag im Esszimmer des Franziskushauses im Kloster Oberzell. Sie kommen alle aus der Ukraine, sind vor dem Krieg nach Oberzell geflüchtet und nutzen das Angebot des pensionierten Lehrers, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Gerhard von Hinten gibt sein Wissen ehrenamtlich weiter. Der 74-Jährige möchte helfen und ist überzeugt: sich uneigennützig zu engagieren sei wie eine Saat, die ausgelegt wird. Menschen, die selbst Hilfe erfahren durften, werden das weitergeben – vielleicht auf andere Art und Weise, aber das Engagement wird weitergetragen. „Vielleicht bin ich da auch als Lehrer geprägt“, sagt er und lächelt.
Seine Motivation, Menschen zu helfen, teilt Gerhard von Hinten mit vielen Frauen und Männern, die sich ebenfalls im Kloster Oberzell ehrenamtlich einbringen. Ob im Pflegeheim Antoniushaus, im Garten des Mutterhauses, an der Pforte oder eben für die Gäste aus der Ukraine – sie leisten diesen Dienst nicht gegen Lohn, sondern im Sinne der Nächstenliebe. Auch im Ehrenamt findet mancher seine Berufung.
Der 5. Dezember ist der internationale Tag des Ehrenamtes. In Deutschland werden an diesem Tag Frauen und Männer aus allen Bundesländern für ihr „außerordentliches bürgerschaftliches Engagement“ durch den Bundespräsidenten mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Aus dem großen Kreis der Ehrenamtlichen im Kloster Oberzell erzählen fünf Menschen exemplarisch von ihrem Engagement und ihrer Motivation.
Die Oberzeller Schwestern selbst wirken wie Vorbilder, sagen die Gesprächspartner*innen. Immer für andere da zu sein und keinerlei Gegenleistung zu erwarten – diese Lebenshaltung beeindrucke ihn immer wieder, betont beispielsweise Wolfgang, der lieber anonym bleiben möchte. „Tue Gutes und rede nicht darüber“, erklärt er bescheiden. Er habe sich früher schon ehrenamtlich in der kirchlichen Jugendarbeit und im Sportverein seines Heimatortes engagiert, sei dann aber beruflich sehr eingespannt gewesen. Mit dem Eintritt in den Ruhestand wollte er gerne wieder ein Ehrenamt übernehmen. Da er das Kloster Oberzell bereits kannte und Franziskus zudem sein Lieblingsheiliger ist, griff er Ende 2021 einfach zum Telefonhörer, rief in Oberzell an und fragte, ob er irgendwie ehrenamtlich helfen könne.
Im März 2022 war er zum ersten Mal im Pflege- und Altenheim Antoniushaus. Seitdem kommt er zwei mal pro Woche und verbringt meist gut zwei Stunden bei den Bewohnerinnen. „Wenn das Wetter passt, gehe ich mit Schwestern spazieren“, verrät er. Ansonsten spielt er mit den Frauen “Mensch ärgere dich nicht” oder Halma, unternimmt kleine Ausflüge oder auch Fahrdienste, und den Nikolaus hat er auch schon gespielt. „Ich genieße den Austausch und profitiere selbst von diesen Treffen“, verrät er. Es sei einfach eine Freude, sich mit den Ordensfrauen zu unterhalten, von ihrem großen Erfahrungsschatz zu hören. „Die Schwestern besitzen so eine offene Art und große Empathie, man kann viel von ihnen lernen.“
Viel gelernt hat auch Gerhard von Hinten durch sein Ehrenamt, wie er selbst betont. Er war zwar Gymnasiallehrer für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde, Deutsch als Fremdsprache habe er zuvor aber noch nicht unterrichtet und ukrainisch kann er selbst auch nicht. Da die Frauen nur das kyrillische Alphabet kannten, musste er ihnen zunächst das deutsche beibringen. „Eine neue Sprache mit fremdem Alphabet zu lernen, ist unheimlich schwierig“, weiß der 74-Jährige. Er habe gerade am Anfang viel mit Bildern gearbeitet. Eine der Frauen konnte Englisch, das habe bei der Verständigung geholfen.
Die ersten Frauen aus der Ukraine zogen im April 2022 im Franziskushaus des Klosters ein, kurz darauf begann Gerhard von Hinten hier mit seinem Deutschunterricht. Seither kommt er jeden Mittwochnachmittag – sein Angebot ist völlig freiwillig. Dass seine Schülerinnen dabei bleiben und sich über seinen Besuch und seinen Unterricht freuen, bedeutet ihm viel. Der pensionierte Lehrer sorgt auch für Abwechslung: ein Ausflug in den Wald oder eine Einladung zum Essen gehörten schon zum Unterricht.
Von viel Abwechslung spricht auch Günter Führich, der ehrenamtlich an der Klosterpforte arbeitet. Er kennt Sr. Reingard Memmel vom Pfarrgemeinderat St. Laurentius Zell und wurde so auf die Möglichkeit aufmerksam, sich im Kloster zu engagieren. Er sei in Zell aufgewachsen und erinnere sich an die vielen Prozessionen, die damals oft das Kloster zum Ziel hatten. Auch in seinem Berufsleben als Sachbearbeiter in der Denkmalpflege im Würzburger Landratsamt habe er viel mit dem Kloster Oberzell zu tun gehabt. „Das gute, faire Miteinander habe ich immer sehr geschätzt.“
Seit vier Jahren begrüßt er nun regelmäßig die ankommenden Gäste an der Klosterpforte. Außerdem ist er die Telefonzentrale, kümmert sich um Post und Pakete, gibt Schlüssel für Fahrräder aus und verkauft Klosterprodukte. „Bis ich genau wusste, wer hier was macht und was ich zu tun habe, hat es etwas gedauert“, verrät der 69-Jährige. Es sei eine wirklich abwechslungsreiche Aufgabe, die Spaß mache. „Ich lerne hier viele Menschen kennen, von Tagesausflüglern über pensionierte Pfarrer bis hin zu den ukrainischen Frauen.“
Freude bereitet ihm auch die Gemeinschaft mit dem Pfortenteam, in dem zum Beispiel Geburtstage und Namenstage gemeinsam gefeiert werden. Die Motivation für sein Ehrenamt: „Ich habe viel im Leben und im Beruf bekommen und möchte etwas zurück geben. Außerdem kann ich so auch meine Verbundenheit mit Zell ausdrücken.“
Verbundenheit spielt auch beim ehrenamtlichen Einsatz von Kinga Mrozek und Mariia Molchanova eine bedeutende Rolle. Kinga Mrozek lebt seit fast drei Jahren auf dem Klostergelände und unterstützt Sr. Reingard Memmel im Kräutergarten. „Ich wurde damals herzlich von den Schwestern aufgenommen und möchte ihnen gerne etwas zurückgeben“, sagt die 39-Jährige. Am liebsten helfe sie beim Ernten mit, da sie dabei gut entspannen könne. Nach einem anstrengenden Tag in der Grundschule, wo die Polin in der Betreuung tätig ist, sei die Arbeit in der Natur genau das Richtige. „Außerdem kann ich nebenbei durch meine Gespräche mit den Schwestern noch mein Deutsch verbessern.“
Mariia Molchanova hilft als Dolmetscherin den ukrainischen Frauen, die auf dem Klostergelände leben. Die 21-Jährige übersetzt Briefe und Dokumente ins Ukrainische, hilft beim Ausfüllen von Formularen fürs Jobcenter, für Versicherungen, Miet- oder Arbeitsverträge, begleitet die Frauen bei Behördenbesuchen und unterstützt die Sozialarbeiterin, die bei der Kongregation angestellt ist. Dafür gibt es einen festen Tag, an dem Mariia Molchanova in Oberzell zur Verfügung steht. „An den anderen Tagen komme ich mit zu Terminen“, beschreibt sie ihren Einsatz. Ihre ehrenamtliche Arbeit umfasst mal 40 Stunden, mal 20 Stunden im Monat – je nachdem, was anfällt.
Die gebürtige Ukrainerin zog selbst wegen des Krieges in ihrem Land nach Deutschland. Sie stammt aus Odessa am Schwarzen Meer und kam Anfang März 2022 zu ihrem Cousin nach Würzburg, der hier an der Universität studiert. Sie versteht, wie schwierig es ist, sich in einem fremden Land zurecht zu finden. „Jedes Land hat seine eigenen sozialen Dienste und Dokumente, die du haben musst, Regeln und Rechte, die du kennen solltest.“ Die Integration in eine neue Gesellschaft sei vor allem für ältere Menschen und für kleine Kinder sehr anstrengend. „Deshalb halte ich es für sehr wichtig, ihnen zu helfen.“
Ob sie auch selbst von ihrem Ehrenamt profitiert? „Natürlich! Es hat mir geholfen, meine Deutschkenntnisse zu verbessern.“ Außerdem liebe sie es, mit Menschen zu arbeiten, betont die gelernte Hotelmanagerin. Das sei mitunter durchaus schwierig. „Wir haben jeden Tag eine neue Situation und müssen immer bereit sein. Aber ich liebe es, Menschen zu helfen und auch ihr Glück zu sehen, wenn das Problem weg ist.“