Ihre ersten Eindrücke in der Würzburger Asylunterkunft haben Sr. Juliana Seelmann geprägt. „Ich habe die riesengroße Not der Menschen gesehen, die auf der Suche sind nach einem sicheren Ort, nach Ankommen und Zur-Ruhe-Kommen.“ Was mit einem Praktikum im Rahmen ihrer Ordensausbildung begann, entwickelte sich zu einer Gewissheit: „Ich habe gemerkt, ich kann hier nicht mehr weg.“ Seit 13 Jahren arbeitet die gelernte Krankenschwester in der medizinischen Versorgung (Allgemeinmedizin, Pädiatrie, Gynäkologie, Psychiatrie) des Klinikums Würzburg Mitte in der Gemeinschaftsunterkunft für geflüchtete Menschen.
Bei den Oberzeller Franziskanerinnen ist die 41-Jährige Ansprechpartnerin für das Thema Asyl. Das Engagement für Geflüchtete verbinde sich sehr gut mit dem, was Ordensgründerin Antonia Werr wollte: die Würde jedes Menschen achten, sie begleiten und ihnen zu sagen, „ja, du bist kostbar, einmalig, wertvoll – egal, was du erlebt hast, egal wo du herkommst“, betont Sr. Juliana. Unter ihrer Mitwirkung entstanden Wohnungen für Geflüchtete, die mehr als ein Dach über dem Kopf bieten. „Es ist wichtig, dass diese Menschen nicht nur einen Ort zum Schlafen haben, sondern auch Unterstützung und Begleitung in ihrem Alltag.“
Zur Ruhe kommen und neue Kraft schöpfen
Die Oberzeller Schwestern richteten zunächst Appartements im Mutterhaus ein, später folgten weitere Unterkünfte. Die Gemeinschaft wollte einen Raum schaffen, in dem sich die Menschen sicher und willkommen fühlen, wo sie zur Ruhe kommen und neue Kraft schöpfen können, erklärt Sr. Juliana. Sie betreut derzeit rund zehn Geflüchtete aus Syrien, Äthiopien und Iran, aber auch aus Eritrea, Somalia und Nigeria waren schon Menschen im Asyl in Oberzell.
Sr. Juliana unterstützt die Frauen in Behördenangelegenheiten, hilft bei der Jobsuche, ist erste Ansprechpartnerin in allen Lebenslagen. Dabei weiß sie ihre Gemeinschaft stets hinter sich, Mitschwestern und andere Unterstützer:innen lernen mit den Frauen Deutsch oder binden sie bei einfachen Arbeiten mit ein.
Seit April 2022 leben zusätzlich geflüchtete Frauen aus der Ukraine auf dem Klostergelände. Die Kongregation schuf eine Stelle, damit auch sie eine Ansprechperson und Unterstützung bekommen. Für Sr. Juliana ist es genau das, was die Menschen brauchen, um sich sicher zu fühlen: Beziehung und Begleitung. „Ich kann viele Probleme nicht lösen, aber ich sehe die Menschen, höre ihnen zu, bin da und bleibe an ihrer Seite.“ Das gilt für die Menschen in der Asylunterkunft genauso wie für die Frauen, die in Oberzell eine Bleibe gefunden haben.
Kirchenasyl: Es bleibt das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen
Auch Kirchenasyl wird in Oberzell weiterhin gewährt. Hier werden Frauen aufgenommen, die in ihr europäisches Ersteinreise-Land zurück geschickt werden sollen, denen dort aber erneute Menschenrechtsverletzungen drohen. Es gibt eine Absprache zwischen dem Bundesamt für Migration und den Kirchen über den Ablauf eines Kirchenasyls. 2021 standen dennoch mehrere Ordensleute und Priester vor Gericht, auch Sr. Juliana. Seit dem ersten Prozess 2021 und dem Freispruch im Jahr darauf, ist es in der Öffentlichkeit etwas ruhiger geworden. Der Freispruch beruhte darauf, dass sich Sr. Juliana und die Gemeinschaft an alle Absprachen gehalten hatten. „Das machen wir auch weiterhin, aber Briefe von der Polizei und Post von der Staatsanwaltschaft erhalte ich dennoch bei fast jedem Kirchenasyl Fall.“ Es bleibt das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen.
Wie schnell die Sicherheit der Menschen in Gefahr gerät, hat Sr. Juliana oft genug mit erlebt. „Was mir immer wieder sehr nahe geht, sind Abschiebungen“, sagt sie und erzählt die Geschichte einer Familie aus einem afrikanischen Land, die schon viele Jahre in Deutschland lebte. Die Mutter und die zwei Kinder hatten eine Aufenthaltserlaubnis, der Mann nicht. „Er hatte eine Arbeit und Aussicht auf eine Ausbildung, er konnte gut Deutsch und tat alles, um sich zu integrieren.“ An einem Mittwochabend klingelte das Telefon von Sr. Juliana, am anderen Ende der Leitung rief ein völlig verzweifelter, weinender Mann um Hilfe. Polizisten standen in seiner Wohnung und wollten ihn mitnehmen. Sr. Juliana wählte die Nummer des Anwalts, hatte Glück und erreichte ihn. Dieser stellte einen Eilantrag, was die Beamten aber nicht abhielt, den Mann mit Gewalt und Handschellen von seiner Familie wegzureißen. Die Mutter kollabierte, die Kinder mittendrin. Kurz vor dem Einsteigen in den Flieger am Frankfurter Flughafen wurde dem Eilantrag stattgegeben. Sr. Juliana war inzwischen zur Familie gefahren und war dabei, als der erlösende Anruf kam. Mittlerweile sind alle anerkannt, die Eltern gehen arbeiten, die Familie ist integriert. Die Erinnerung an dieses Erlebnis macht Sr. Juliana immer noch fassungslos: „Wie können wir Familien so auseinanderreißen, nur weil es rein rechtlich vielleicht korrekt wäre? Wo wir doch sonst den Wert der Familie so hoch halten.“
In solch emotional belastenden Zeiten findet die 41-Jährige Kraft und Trost in ihrem Glauben und in ihrer Gemeinschaft. Viele der Geflüchteten, egal ob muslimisch oder christlich, würden diese Erfahrung teilen. „Glaube ist eine Kraftquelle für Menschen, die in so einer schweren Lebensphase sind.“ In ihrer Arbeit sei es aber vor allem die Haltung, die zählt, betont die Ordensfrau. „Allein durch das, was ich hoffe auszustrahlen, dass ich die Menschen so annehme wie sie sind, dass ich sage: Ich bin für dich da, bin an deiner Seite und halte das mit dir aus. Ich denke, das ist spürbar auch ohne dass man darüber spricht.“
Nah dran an den Menschen
Durch ihre Arbeit als Krankenschwester und als Ordensfrau ist Sr. Juliana nah dran an den Menschen, die ihre Heimat verlassen haben. Wie sie den politischen Umgang mit den Themen Flucht und Migration erlebt? „Das schwankt zwischen Wut und Hilflosigkeit“, sagt sie ehrlich und erzählt von den rechtlichen Grenzen, an die sie oft stoße. Sie erinnert sich an eine schwangere Frau in der Gemeinschaftsunterkunft, die zu ihrem Partner in ein anderes Bundesland wollte. Nachdem der Antrag gestellt war, erlitt die Frau eine Totgeburt und von der Behörde hieß es, dass der Umzug nun nicht mehr nötig sei. „Wir haben so viele Vorschriften und Gesetze, die einfach nicht die Menschen sehen“, kritisiert Sr. Juliana.
Sätzen wie „die kommen nur des Geldes wegen“ oder „wie kann man nur seine Kinder zurück lassen“ widerspricht sie vehement. „Kein Mensch steigt freiwillig auf ein seeuntaugliches Boot und niemand lässt seine Kinder zurück, nur weil es vielleicht mal schöner ist, in Europa zu leben. Davon bin ich fest überzeugt.“ Sie habe einige Frauen begleitet, die ihre Kinder in der Heimat zurückließen in der Hoffnung, sie später nachholen zu können. Sie hat erlebt, wie es den Frauen ging und betont: „In welcher verzweifelten Notlage muss ich sein, dass ich diese – hoffentlich – vorübergehende Situation in Kauf nehme?“
Die Menschen seien traumatisiert und depressiv, auch das sieht Sr. Juliana in ihrer täglichen Arbeit. Sie haben Schlimmes erlebt und leben weiterhin in ständiger Angst. Dieses unsichere Gefühl – teils über Jahre hinweg – mache die Menschen zusätzlich krank. Um Sicherheit zu erfahren, bräuchten die meisten also vor allem eines: eine Aufenthaltserlaubnis. Dazu kann Sr. Juliana wenig beitragen, aber sie versucht trotzdem den Menschen zu zeigen, dass sie hier sein dürfen mit allem, was sie mitbringen. „Dieses Angenommenwerden, so wie ich bin, das ist eine Grundsehnsucht in uns Menschen, trägt zu einem Gefühl von Sicherheit bei und ermöglicht vielleicht auch Heilungswege.“
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