Bei der jahrtausendealten Tradition des Pilgerns machen sich Menschen auf den Weg, um etwas zu suchen: die Nähe zu Gott, Trost oder Orientierung. Anja Bakker hatte verschiedene Gründe. Im April ist sie in ihrer Heimat West Cork in Irland aufgebrochen. Ihr Ziel: Jerusalem. Ihr Weg brachte sie am 18. September ins Kloster Oberzell und sie entschied sich, eine Nacht zu bleiben. Zuvor war sie bei den Brüdern in Triefenstein zu Gast, danach soll es Richtung Schwanberg gehen.
Neben ihrer Wanderausrüstung trägt die 53-Jährige eine sieben Kilogramm schwere Harfe auf ihrem Rücken. Auf ihren Social-Media-Kanälen bezeichnet sie sich als Harfenspielerin, Troubadour, Pilgerin, Wanderin, Schreiberin, Sprecherin, Denkerin und Mutter. Die studierte Musikerin hörte davon, dass Harfenspieler aus Irland bei den Kreuzzügen dabei waren. Sie versuchte herauszufinden, wie die Menschen damals ihre Harfen transportierten und, ob auch eine Frau dabei war. Sie konnte nichts finden. So entstand die Idee, als vermutlich erste Frau mit ihrer Harfe in Jerusalem anzukommen.
In Oberzell übernachtete die Pilgerin im Konvent Magdala und gab natürlich auch eine kleine Kostprobe ihres Könnens an der Harfe. Anja Bakker ist eine ungewöhnliche Frau. Die 53-Jährige wurde in Canada geboren.
Doch ihre Eltern entschieden sich, wieder in ihr Heimatland Holland zurückzukehren. Als sich ihre Eltern einige Jahre später trennten, zog Anja Bakker mit ihrer Mutter nach Irland. Dort lebt sie bis heute und hat alleine eine Tochter großgezogen.
Beim Pilgern die Wut los werden
Das Pilgern entdeckte sie im Alter von 40 Jahren für sich. Sie lief nach Santiago de Compostela, um ihre Wut loszuwerden, wie sie sagt. Auf diesem Weg lernte sie sehr viel, erkannte, dass sie alte Traumata ihrer Familie mit sich schleppte. Als sie ankam, hatte sie das Gefühl, dass sich etwas gelöst hatte. Einige Jahre später pilgerte sie dann nach Rom. Auch das half ihr, schwere Themen in der Familie loszulassen. Ihr Vater hatte im Krieg gedient und war sehr gläubig. Kurze Zeit nach ihrer Rückkehr aus Rom, starb er.
Während ihrer aktuellen Wanderung nach Jerusalem starb nun auch ihre Mutter. Anja Bakker war zu der Zeit in Aschaffenburg – sie flog nach Hause, um sich zu verabschieden und setzte danach ihre Reise fort. Im Sommer schlief sie oft draußen, doch bei kälteren Temperaturen und Regen ist sie dankbar, wenn sie in Pilgerunterkünften ein Bett bekommt. Wenn möglich, wählt sie dafür ganz bewusst Klöster aus.
Bevor Anja Bakker nach einer Nacht und einem leckeren Frühstück in Oberzell am 19. September wieder aufbrechen konnte, musste sie ihre Wanderausrüstung samt Harfe im Rucksack verstauen. Nach nur zehn Minuten landete ihr ganzes Hab und Gut wieder auf ihrem Rücken. Schwester Rut zeigte der Pilgerin den direkten Zugang zum Main und begleitete sie noch ein Stück ihres Weges bis zur Zellerau.
Pilgerstab aus Haselnuss
Als Stütze dient der Frau aus Irland ein Pilgerstab aus Haselnuss mit einem Stück Holz aus einem uralten irischen Boot. Sie trägt ihn mit nach Jerusalem für einen Mann, dem das selbst nicht mehr möglich ist. Auf die Frage, wie sie es schaffe, jeden Tag mit 20 Kilogramm Gepäck zu laufen, gesteht Anja Bakker mit einem Augenzwinkern, dass sie heute mit 53 Jahren weniger Kilometer schaffe als früher, aber sie sei körperlich recht stark und das helfe ihr. Sie sage sich jeden Morgen, dass sie beschützt ist von etwas Größerem. „Ich bin offen, für das was kommt.“
Liebe Anja, wir freuen uns, dass wir Dich kennenlernen durften. Danke für Deinen Besuch, für das tolle Harfenspiel, für die schönen Gespräche und Deine große Dankbarkeit! Wir wünschen Dir Gottes Segen für Deinen Weg und noch viele schöne und inspirierende Begegnungen. Komm gesund und munter mit Deiner Harfe in Jerusalem an!