Ist Stuck einfach nur Dekoration? Oder steckt weitaus mehr hinter der barocken Kunst? Bei Antonio Bossi ist sicher Letzteres der Fall. Das wurde am Samstag im Kloster Oberzell deutlich, als der Würzburger Manuel Mayer seinen neuen Kunstführer „Antonio Bossi in Oberzell“ vorstellte. Rund 60 Gäste waren gekommen, um mehr über das beeindruckende Werk des italienischen Stuckateurs zu erfahren.
Bei jeder Führung, die sie in Oberzell bereits gehalten habe, dürften die im Treppenhaus dargestellten Kardinaltugenden und vier Elemente nicht fehlen, betonte Generaloberin Sr. Katharina Ganz in ihrer Begrüßung. Aber so wie Manuel Mayer habe sie den Stuck bisher noch nie gesehen. „Und seit dem Lesen des Kunstführers weiß ich auch: Man kann sich sogar darin verlieben.“ Hundert Jahre diene dieser Bau bereits als Mutterhaus der Kongregation, die in der Frauenarbeit und im Dienst der Nächstenliebe ihren Schwerpunkt hat. Sie sei allen vorherigen Generationen dankbar, die trotz der vielen Nutzungen dazu beigetragen haben, die Substanz, Pracht und Schönheit dieses Prämonstratenserstifts mit großem Feingefühl für den Denkmalschutz zu erhalten.
In seinem Vortrag zu Antonio Bossi (1699-1764) thematisierte Manuel Mayer – neben zahlreichen anderen Aspekten – auch das Treppenhaus. Hier zeige sich besonders eindrucksvoll, wie Bossi bauliche Herausforderungen kreativ löste. Die architektonischen Unregelmäßigkeiten des Raumes – etwa unsymmetrische Stichkappen und Blendfenster – verwandelte er durch die geschickte Verwendung von Kartuschen und Rankengebilden in eine harmonische Einheit. Mayer betonte, dass Bossis Stuck hier nicht nur die architektonischen Mängel ausglich, sondern sie sogar als Inspirationsquelle nutzte. Diese Kunstfertigkeit mache das Treppenhaus zu einem herausragenden Beispiel seiner Kunst.
Neben dem Treppenhaus widmete sich Mayer auch den Stuckarbeiten im Sommerrefektorium. Während im Treppenhaus großformatige, plastische Elemente dominierten, zeige sich im Refektorium Bossis Fähigkeit, die Architektur mit einem feinen, leicht anmutenden Stuckgewebe zu versehen. Auch hier nutzte Bossi die Gegebenheiten des Raums geschickt, indem er das Stuckwerk an neuralgischen Punkten platzierte, um die Last des Gewölbes optisch abzumildern.
Eine weitere Besonderheit beschrieb der Autor in einem Raum, den er als „Zimmer der Naturkräfte“ bezeichnete. Denn hier würden sich Tier- und Pflanzenformen virtuos miteinander verbinden. Bossi habe dadurch eine fast erzählerische Ebene in seine Ornamentik einfließen lassen. Zum Abschluss unterstrich Mayer, wie innovativ und einfallsreich Bossi bis ins hohe Alter blieb. Sein Werk in Oberzell sei ein Beweis dafür, dass er nie aufgehört habe, neue künstlerische Lösungen zu finden und mit den gegebenen architektonischen Bedingungen kreativ umzugehen.
Manuel Mayers Kunstführer Antonio Bossi in Oberzell ist ab sofort an der Klosterpforte in Oberzell und im Buchhandel erhältlich.
Zur Person: Manuel Mayer
Dr. Dr. Manuel Mayer (*1984 in Würzburg) studierte Kunstgeschichte, Neuere und Mittelalterliche Geschichte an den Universitäten Würzburg, Straßburg und Freiburg/CH. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts. In seiner jüngst erschienenen Studie zu Balthasar Neumann (ebenfalls erschienen bei Schnell&Steiner) stellte er u.a. die gängigen Vorstellungen vom berühmten Barockbaumeister in Frage und veranlasste die Forschung zum Überdenken ihrer bisherigen Methoden.
Manuel Mayer: „Antonio Bossi in Oberzell“. Reihe: Große Kunstführer, Bd. 279
Verlagsgruppe Schnell & Steiner, www.schnell-und-steiner.de
ISBN: 978-3-7954-3925-5, UVP: 12 Euro
Hintergrund:
1128 legte Norbert von Xanten den Grundstein für das Kloster Oberzell, das als Prämonstratenserstift bis zur Säkularisation bestand. Nur wenige Jahrzehnte vor seiner Auflösung entstand unter der Leitung von Abt Oswald Loschert der Konventbau u.a. nach Plänen Balthasar Neumanns und mit den noch im Original erhaltenen Stuckarbeiten von Antonio Giuseppe Bossi.
1802 wurde die Abtei säkularisiert, der gesamte Klosterbesitz fiel an Max Joseph Kurfürst von Bayern. Nach einigen Besitzerwechseln kauften Friedrich Koenig und Andreas Bauer 1817 das komplette Areal und gründeten hier ihre Druckmaschinenfabrik.
1855 mietete die Würzburgerin Antonia Werr das leerstehende Schlösschen und eröffnete ihre „Rettungsanstalt für strafentlassene und verwahrloste Personen des weiblichen Geschlechts“. Nachdem die Fabrik 1901 das Gelände verließ, nutzten die Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu diese Chance: Mit dem Kauf der Klosteranlage begannen sie zwischen 1901 und 1905 eine umfangreiche Restaurierung mit dem Ziel, das Kloster wieder in seiner barocken Form glänzen zu lassen. 1902 wurde der barocke Konventbau unter dem Namen “St. Norbertusheim” gesegnet und 1923 wurde er zum Mutterhaus der Gemeinschaft.