Keine Zeit zum Kranksein

Auslandsjahr – Felix Hambitzer arbeitet als Freiwilliger in Würzburgs Partnerdiözese Mbinga (Tansania) in einem Krankenhaus mit. Sein Bericht nach einem halben Jahr im Einsatz.

Es ist Dienstagmorgen 6:40 Uhr in Litembo, Tansania. Mein Wecker klingelt. Ich krieche unter meinem Moskitonetz hervor. Neben unserem fröhlich krähenden Hahn Gisbert begrüßen mich einige Sonnenstrahlen. Waren die letzten Monate mitunter verregnet, wird es hier auf 1600 Metern im Südosten Tansanias mit Ende der Regenzeit zwar langsam kälter, dafür scheint die Sonne wieder häufiger.

Kurz nach 7 Uhr treffe ich im Flur auf Ines und Christian. Gemeinsam mit den beiden lebe und arbeite ich seit Oktober im Diözesankrankenhaus in Litembo – Ines und ich über den Bund Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ) Würzburg als weltwärts-Freiwillige, Christian über eine andere Organisation als Elektriker. Wir überqueren den Innenhof zum gegenüberliegenden Haus. Hier lebt Maria Meiss, die das Krankenhaus 1961 mitgegründet und aufgebaut hat. Die heute 91-Jährige komplettiert die Stammbesetzung im so genannten Doctor’s House. Das untere der beiden Häuser ist das Gästehaus.

Dienstantritt

Nach dem Frühstück brechen wir zum Krankenhaus auf. Zwei Minuten Fußweg. Heute Morgen warten wenige Patienten mit Angehörigen auf den Bänken der Anmeldung. Da der Großteil der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist und die diesjährige Ernte noch nicht eingefahren ist, „liegt das Geld auf den Feldern“ – für Krankheit ist keine Zeit. Das soll sich in ein paar Wochen ändern, wenn Kaffee, Mais und Bohnen geerntet sind und auf den Märkten verkauft werden oder im Fall des Kaffees exportiert werden können.

Bevor es richtig losgeht, steht wie jeden Dienstag zunächst die Mitarbeiterversammlung an. Ausdrucksstark wendet sich der Klinikadministrator Father Raphael an die Angestellten. Heute Morgen stellt er seine neue Evaluationsidee vor, mit der er in Zukunft die Mitarbeiter und den Arbeitsfortschritt im Krankenhaus bewerten will. Man merkt, dass Father Raphael Teile seines Theologiestudiums in Würzburg absolviert hat – nicht nur, weil er fließend Deutsch spricht, sondern auch, weil er langfristig plant, konkrete Ziele formuliert und eine Vision für das Krankenhaus hat.

Als größtes Krankenhaus in der Diözese Mbinga hat das Litembo Diocesan Hospital einen Einzugsbereich so groß wie Nordrhein-Westfalen. 320 Betten verteilen sich auf die Abteilungen Innere Medizin (geschlechtergetrennt), Geburtsstation, CTC-Klinik zur besonderen Behandlung von Tuberkulose- und HIV-Patienten, Isolations-Abteilung, Kinderstation, Augen- und Ohrenklinik, Vater-Mutter-Kind-Zentrum, Gynäkologie und Chirurgie. 

Aktuell arbeiten sieben Ärzte im Krankenhaus, wovon nur zwei Fachärzte sind. Das hört sich nicht nach vielen Spezialisten an – für die Bettenanzahl ist es in der Tat auch nicht ausreichend – in Anbetracht der Lage Litembos allerdings durchaus beachtlich. Zudem gibt es im Krankenhaus viele weitergebildete Krankenpfleger und -schwestern, die Aufgaben der Ärzte übernehmen dürfen, auch als Führungspersonal und Stationsverantwortliche eingesetzt werden und in den Rufdienst eingegliedert sind.

Mein Kollege Pinda passt mich auf dem Weg ab und wir halten Smalltalk. Dieser ist hier sehr viel wichtiger als in Deutschland. Es wäre unhöflich, wenn ich ihn nicht mit den typischen Floskeln begrüße. „Habari za asubuhi?“ („Guten Morgen. Wie geht es dir?“ ) – „Nzuri!“ („Gut!“). „Habari za nyumbani?“ („Zuhause alles klar?“) – „Ndio, kila kitu safi!“ („Ja, zuhause ist alles in Ordung!“). Mein Kisuaheli ist inzwischen sehr ordentlich. Ich finde mich ohne Probleme in der Alltagskommunikation zurecht, verstehe meine Mitmenschen und kann Beschwerden der Patienten einordnen. Durch den Kontakt mit Patienten und Mitarbeitern lerne ich täglich neue Worte. Das ist wichtig, denn Kisuaheli ist der Schlüssel, um wirklich mit den Menschen in Kontakt zu treten und in der Kultur anzukommen.

Schnelle Computerhilfe

Ich erfahre, Mary, die Sekretärin von Father Raphael, hat ein Problem mit ihrem Drucker. Generell erledige ich in Freiräumen hauptsächlich Computerarbeiten im Krankenhaus. Nachdem ich eine Schwesternhelferin in der Abrechnung auf ein E-Mail-Programm angelernt habe, hat die Buschtrommel mit beachtlicher Geschwindigkeit und Reichweite funktioniert: Inzwischen kommen immer wieder Klinikmitarbeiter mit der Bitte auf mich zu, ihnen bei Fragen zu ihren PCs zu helfen.

Dann sind da noch die kleinen, besonderen Unterbrechungen: In den letzten Monaten habe ich unter Ines‘ Federführung – sie ist ausgebildete Kinderkrankenschwester – immer mal wieder bei der Versorgung von Frühgeborenen mitgeholfen und durfte zahlreichen Operationen beiwohnen. Sehr interessant und spannend!

Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit meiner Arbeitssituation. Wo ich mitarbeite, kann ich mein Wissen und meine Kenntnisse einbringen. Gerade bei Computerarbeiten, Strukturierungs- oder Planungsaufgaben kann ich super weiterhelfen und kleine Veränderungen anstoßen. Großen Anteil an meiner Zufriedenheit hat auch die Dankbarkeit von Patienten und Mitarbeitern. Aktuell behandle ich einen älteren Herrn in der Physiotherapie, der mit starken Rückenbeschwerden zu kämpfen hat. Einige wenige Übungen können wir mit ihm passiv machen, den Großteil seines Programms kann ich allerdings nur anleiten und seine Ausführung kontrollieren. Dennoch ist er nach jedem Termin sehr glücklich und hat mich als Dank bereits zu sich nach Hause eingeladen. Das sind schöne Momente!

Lunchtime

Inzwischen ist es 13 Uhr und Mittagessenszeit. Ines erzählt von einem Kind mit Gelbsucht, das heute vollkommen genesen entlassen werden konnte. Therapie: Infusionen und Sonnenstrahlen, weil es eine Lampe mit konzentriertem blauen Licht hier nicht gibt. Von Dr. Thabiti weiß ich, dass eine Patientin, die gestern als Notfall mit einer schweren Malariainfektion eingeliefert wurde, leider verstorben ist. Freud und Leid liegen auch im Litembo Diocesan Hospital eng zusammen. Einerseits ist es bewundernswert, wie hier mit den begrenzten Mitteln wirklich ordentliche Medizin gemacht wird. Andererseits wäre häufig viel mehr möglich und wir können Patienten nicht weiterhelfen, weil Diagnosemöglichkeiten, Therapien oder schlicht Know-how fehlt.

Feierabend

Nach der Arbeit treffe ich mich mit Eric, einem von mehreren Freunden aus der Klinik, zum gemeinsamen Joggen. Unsere Runde führt entlang des Tembo – der Berg mit Elefantenform (Tembo ist kisuaheli für: Elefant), der dem Dorf Litembo seinen Namen gab – durch die sattgrüne Natur am schrägen und von Schlaglöchern übersäten Fußballplatz vorbei. Hier kicke ich ab und zu mit den gleichaltrigen Jugendlichen aus den umliegenden Dörfern. Kurios, witzig und kurzweilig! Häufig verbringen wir die Nachmittage auf unserer Terrasse und genießen den sagenhaften Ausblick auf den Berg Likengema. Die Stimmung bei uns dreien ist super! Die Tiefe und Intimität, die in den Gesprächen mit den Tansaniern aus unterschiedlichen Gründen (Sprachbarriere, andere Interessen/ Themen, Sonderrolle und –perspektive als Weißer) häufig nicht aufkommt, geben wir uns gegenseitig. Gemeinsam machen wir viel Sport und kochen gerne. 

Gegen 23:00 Uhr lasse ich mein Moskitonetz herunter und liege in meinem Bett, das ein Drittel meines kleinen aber feinen Zimmers ausmacht. Wieder ist ein Tag in Litembo vorbei und wie auch an vielen Tagen zuvor schlafe ich mit einem guten Gefühl ein: Ich bin glücklich hier und ich fühle mich wohl. Abgesehen von einer Schultererkrankung in den Anfangswochen war ich bisher nicht ernsthaft krank und hatte kein Heimweh. Ich kommuniziere zwar viel und gerne nach Hause zu meinen Eltern und Freunden, denke aber wenig über Deutschland nach, weil mein Leben jetzt hier stattfindet. Bis heute habe ich diesen Schritt kein einziges Mal bereut, weil ich schon jetzt so viel gelernt und aufgesogen habe. Ich hatte Zeit für mich und zur Orientierung für meinen Weg nach Ende des Dienstes. Darüber hinaus lebe ich in einem landschaftlich und kulturell beeindruckenden Land, dessen Schönheit ich in einigen Reisen bereits erlebt habe und das ich nach Ende meines Freilwilligendiensts zusammen mit meinen Eltern weiter entdecken darf!

Felix Hambitzer