800 Jahre Stigmata des heiligen Franziskus: Von Wundmalen und Verwundbarkeit

Studientag der Oberzeller Franziskanerinnen und der Franziskaner-Minoriten

Im Jahr 1224 – um das Fest Kreuzerhöhung – hielt sich Franz von Assisi für mehrere Wochen in der Toskana auf dem Berg La Verna auf. Hierher hatte er sich zu Fasten, Gebet und Meditation zurückgezogen. In dieser Atmosphäre größtmöglicher Nähe zu Gott wurden ihm die Wundmale geschenkt. Selbst spricht er nie darüber, doch aufgrund zahlreicher Zeugnisse geht er „als erster Mystiker in die Geschichte ein, von dem das unerklärliche Phänomen der Stigmata zweifelsfrei bezeugt ist.“ (Niklaus Kuster OFM Cap.)

Dieses Ereignis fasziniert bis heute und die franziskanische Familie feiert in diesem Jahr „800 Jahre Stigmata“. Die Oberzeller Franziskanerinnen und die Franziskaner-Minoriten haben dieses Jubiläum am 17. September mit einem Studientag gewürdigt. Viele interessierte Zuhörer:innen – unter ihnen auch der Würzburger Bischof Dr. Franz Jung und der emeritierte Weihbischof Ulrich Boom – kamen ins Würzburger Minoritenkloster, um sich mit Vorträgen und Impulsen mit diesem Teil franziskanischer Spiritualität tiefer auseinanderzusetzen. Der Studientag bot die Möglichkeit, Franziskus’ radikalen Weg der Nachfolge Christi neu zu entdecken – verbunden mit der Einladung, eigene Verwundbarkeit zuzulassen.

Wunderbar und rätselhaft

Br. Andreas Murk, Provinzialminister der Provinz St. Elisabeth, gab im ersten Vortrag des Tages unter der Überschrift „Wunderbar und rätselhaft“ einen Überblick über das Phänomen der Stigmata. Er blickte in die franziskanische Quellenlage, die laut dem Schweizer Kapuziner Anton Rotzetter „außerordentlich beweiskräftig“ ist. Dennoch gab es offensichtlich schon kurz nach dem Tod Zweifel, ob die Stigmata des Heiligen echt oder vielleicht doch nur eine Erfindung seien.

Aus der wissenschaftlichen Forschung präsentierte Br. Andreas verschiedene Erklärungs- und Interpretationsmodelle, die es auch dem modernen Menschen ermöglichen könnten, an die Tatsächlichkeit der Stigmata zu glauben. Mit dem französischen Historiker André Vauchez kann gesagt werden: „Die Wundmale sind das physische Zeichen einer inneren Erschütterung, die ihre Wurzeln in der leidenschaftlichen Verehrung des Kreuzes durch Franziskus und in seinem inbrünstigen Wunsch hat, selbst an den Leiden Christi teilzuhaben.“ Damit werden sie zum Ausdruck der innigen Gott-Beziehung des heiligen Franziskus.

Wunden, die bleiben

In der anschließenden Vesper versuchte der Würzburger Bischof Dr. Franz Jung eine geistliche Deutung der Stigmata des heiligen Franziskus. Er betonte, dass Wunden „auf die offenen Wunden der versehrten Menschheit verweisen, auch wenn wir diese gerne ausblenden und nicht wahrhaben wollen.“ Er ermutigte dazu, die Wunden wahrzunehmen und sie in einem Akt gemeinsamer Solidarität zu heilen. Bischof Franz machte aber auch deutlich, dass es Wunden gibt, die bleiben: „So bleibt die Einladung, sich in seinen Wunden zu bergen, wie sich auch der stigmatisierte Franziskus in den Wunden des Herrn geborgen hat, um in Christus ganz heil zu werden.“ Die Vesper wurde von Radio Horeb live im Radio übertragen und erreichte deutlich über 200.000 Zuhörer.

Nach einem kurzen Imbiss, zu dem die Brüder im Kreuzgang eingeladen hatten, referierte Sr. Dr. Katharina Ganz, Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, unter dem Titel „Verwundet und verwundbar. Franziskanische Impulse für eine ‚schwache Theologie‘“. Sie verglich das heutige Streben nach Unsterblichkeit in der Technologie (z.B. durch Persönlichkeiten wie Mark Zuckerberg) mit dem christlichen Glauben, der die menschliche Sterblichkeit und Verletzlichkeit akzeptiert. Franz von Assisi habe einen tiefgreifenden Wandel erlebt von einem jungen, ehrgeizigen Mann hin zu einem Demütigen, der sich den Armen zuwandte. Durch Begegnungen mit Aussätzigen und die Lesung aus dem Matthäusevangelium entwickelte Franziskus ein radikal einfaches Leben in Armut, Barmherzigkeit und Demut.

Seine Abkehr von weltlichen Besitztümern sowie seine Kompromisslosigkeit in der Nachfolge Christi machten ihn zu einem Außenseiter, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Kirche. Seine Stigmata symbolisierten nicht nur physische Wunden, sondern auch seine tiefe Verbindung zu den Verwundeten und Ausgegrenzten seiner Zeit. Sr. Katharina hob hervor, dass Franziskus als eine Figur der „schwachen Theologie“ verstanden werden kann, einer Theologie, die Gott nicht als allmächtig und distanziert sieht, sondern als mitleidenden Gott, der sich mit den Schwachen identifiziert.

Spiegel für das eigene Leid

Die Wundmale Jesu seien zudem eine doppelte Spiegelung: „Beim Betrachten der Wunden Jesu können wir wie in einem Spiegel unser eigenes Leid sehen. In den Wunden des Gekreuzigten sind auch unsere Nöte und Sorgen gut aufgehoben. Wir dürfen sie an das Kreuz heften, an das sich Jesus hat annageln lassen.“ Außerdem gelte für Christ:innen auch die umgekehrte Spiegelung, so Sr. Katharina. Beim Betrachten der Passion Jesu, versetze man sich in seine Todesangst und halte sich seine Schmerzen und den grausamen Foltertod vor Augen. „Wir erkennen darin das Schicksal von Millionen Menschen, die Ähnliches erleiden.“ Bewusst in den Spiegel des Kreuzes Jesu zu schauen, könne die Menschen sensibler und einfühlsamer machen. „Es kann unser Mitgefühl wecken und unsere Solidarität fördern mit Menschen, die heute in den Sackgassen des Lebens gefangen sind, die nicht mehr aus noch ein wissen, die sich danach sehnen, dass jemand ihr Kreuz mitträgt, ihre Wunden aushält und verbindet, Gesten der Menschlichkeit zeigt und auch in den schlimmsten Situationen nicht von ihrer Seite weicht.“

In der Nachfolge Christi und in der Spur des heiligen Franziskus unterwegs zu sein, heißt also die eigene Verwundbarkeit anzuerkennen und sich selbst verwunden zu lassen. Nicht weil das so schön wäre, sondern weil es ein Weg der Menschwerdung ist.

Am Ende eines gelungenen Studientages dankte Br. Andreas allen Interessierten und verwies mit einem Schmunzeln darauf, dass es ja in den nächsten Jahren noch weitere franziskanische Jubiläen gäbe, für die man ähnliche Veranstaltungen anbieten könne.

Br. Andreas Murk, Anja Mayer
Fotos: Br. Andreas Murk