Als der Krieg 2022 in ihrer Heimat Ukraine ausbrach, musste Oksana (Name geändert) fliehen. Ihr Weg führte nach Deutschland und schließlich ins Kloster Oberzell. Oksana begann einen Sprachkurs und arbeitete nachmittags in einer Bäckerei. Heute, zwei Jahre später, hat sie ihren Deutschkurs erfolgreich abgeschlossen und möchte eine kaufmännische Ausbildung beginnen. Geschichten wie die von Oksana zeigen, wie wichtig es ist, dass Geflüchtete Unterstützung erhalten.
Nach dem Kriegsausbruch war auch für die Oberzeller Franziskanerinnen klar: Wir müssen helfen. Neben finanziellen Spenden wurde schnell die Entscheidung getroffen, selbst Geflüchtete aufzunehmen. Schwestern zogen innerhalb des Klostergeländes um und schafften so Platz für Frauen aus der Ukraine. Doch allein mit der Bereitstellung von Unterkünften war es nicht getan. Die Kongregation schrieb eine Stelle aus, um die Geflüchtetenhilfe professionell zu koordinieren und suchte zusätzlich nach ehrenamtlicher Unterstützung. Die Resonanz aus der Bevölkerung war überwältigend.
Zahlreiche Menschen meldeten sich, um zu helfen – sei es durch ihre Zeit, durch Sachspenden oder als ehrenamtliche Deutschlehrer:innen und Dolmetscher:innen, die bis heute eine unverzichtbare Hilfe darstellen. Den Posten der Koordinatorin hat heute Sozialarbeiterin Theresia Pretscher inne. Ihr zur Seite steht neben anderen Anastasia Alieva, die sich 2022 auf den ersten Aufruf hin meldete und seither dabei hilft, die sprachlichen Barrieren zu überwinden – anfangs ehrenamtlich, inzwischen als Angestellte des Klosters. Für die LUPE erzählen die Frauen, wie sich die Ukrainehilfe in den vergangenen zwei Jahren entwickelt hat. Die Beiden kümmern sich in erster Linie um behördliche Angelegenheiten, organisieren nötige Dokumente, sind im Austausch mit Landratsamt und Jobcenter und koordinieren Arzttermine. Am Wichtigsten sei ihnen aber „Hilfe zur Selbsthilfe“, wie Theresia Pretscher betont.
Ehrenamtliche Dolmetscher gesucht
Im Franziskushaus auf dem Oberzeller Klostergelände leben aktuell 21 Frauen zwischen Mitte 30 und 87 Jahren sowie vier Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren. Der Großteil der Frauen ist bereits im Rentenalter. „Die Jüngeren werden genug Deutsch lernen, um klarzukommen“, ist sich Anastasia Alieva sicher. „Aber im Alter ist das schwer. Ich weiß nicht, wie vor allem die älteren Geflüchteten hier lang fristig zurechtkommen sollen.“ Sie selbst stehe den ukrainischen Frauen in Oberzell voraussichtlich noch bis Ende des Jahres zur Seite. Die 33-Jährige stammt aus Moskau und kam 2013 nach Deutschland. Inzwischen hat sie ihr Studium in IT-Management und Consulting abgeschlossen und sucht eine Vollzeitstelle. Dann wird es ihr vermutlich nicht mehr möglich sein, Frauen zu Arzt- oder Behördenterminen zu begleiten. Daher läuft bereits die Suche nach neuen Ehrenamtlichen, die ukrainisch oder russisch sprechen und bereit wären zu helfen.
„Gleichzeitig animieren wir die Frauen, selbst auf die Suche zu gehen nach Menschen, die ihnen helfen könnten“, betont Theresia Pretscher. Denn auch bei den anderen Ehrenamtlichen, die in den vergangenen beiden Jahren als Dolmetscher:innen halfen, hat sich die berufliche Lebenssituation verändert und sie haben kaum noch oder gar keine Zeit mehr.
Dabei stellt gerade die sprachliche Barriere die größte Herausforderung dar. Theresia Pretscher spricht weder russisch noch ukrainisch und ist auf automatische Übersetzungsprogramme angewiesen. „Das erleichtert einiges, aber trotzdem bleibt es schwierig und zeitintensiv“, erklärt die 34-Jährige. „Manchmal müssen wir Anliegen aufschieben, bis Anastasia wieder da ist.“ Diese sieht die Übersetzerapps ebenfalls kritisch: „Diese Programme können Menschen nicht ersetzen. Oft reicht schon die Betonung eines Wortes, um eine völlig andere Bedeutung zu vermitteln, was schnell zu Missverständnissen führt.“ Es bereite ihr sehr viel Freude, hier zu arbeiten und den Frauen zu helfen, betont Alieva. „Auch wenn wir über manche Schwierigkeiten sprechen müssen.“
Denn tatsächlich sind die sprachlichen Hürden nicht die einzigen Herausforderungen. Vor allem persönliche Konflikte stellen das Team manchmal vor große Probleme. „Es gibt immer wieder Spannungen unter den Frauen, die nicht auf Sprache oder Kultur zurückzuführen sind, sondern auf unterschiedliche Charaktere und Lebensvorstellungen – wie es auch in anderen Wohn- oder Hausgemeinschaften ist“, erklärt Pretscher. Es beginne oft mit kleinen Dingen und eskaliere schnell, weil persönliche Beleidigungen ausgesprochen werden oder Meinungsverschiedenheiten beispielsweise über Sauberkeit zu Streitereien führen. Sogar die Polizei wurde von den ukrainischen Frauen schon gerufen. „In solchen Fällen ist es schwer, die Wahrheit zu ermitteln, da Aussage gegen Aussage steht.“ Alle Schlichtungsversuche wie Umzugs- oder Gesprächsangebote wurden bisher ausgeschlagen. „Leider ist es für uns kaum möglich, diese Konflikte zu lösen, weil sie sehr persönlich sind.“
Familien im Kriegsgebiet
Gleichzeitig weisen Alieva und Pretscher darauf hin, dass die Situation in der Ukraine weiterhin eine große Belastung für die Frauen ist. Eine Bewohnerin habe ihr Tonaufnahmen vorgespielt, auf denen Raketen zu hören sind, erzählt Theresia Pretscher. „Eine andere Frau hat mir ein Bild von ihrem Sohn gezeigt, der an der Front kämpft.“ Die Sorgen und Ängste lassen die Frauen auch hier in Deutschland nicht los.
Trotzdem – oder gerade deswegen – kehren einige Frauen ab und zu für ein paar Tage in die Ukraine zurück. „Eine Frau wollte zum Beispiel ihren Mann wiedersehen“, erzählt Alieva. „Andere mussten in ihre Heimatstädte fahren, um Häuser aufzuräumen, die von Raketen getroffen wurden.“ So auch das Haus einer Frau in Kiew, das durch einen Einschlag beschädigt wurde. Trotz des vergleichsweise guten Schutzes, den Kiew bietet, bleibt die Rückkehr gefährlich.
„Viele Menschen verstehen nicht, warum jemand das Risiko eingeht, zurückzufahren“, weiß Alieva. „Aber die Ukraine ist ihr Zuhause und ihre Familien leben dort.“ Als die Frauen 2022 nach Deutschland flohen, dachten viele, dass es nur eine vorübergehende Lösung sei. Doch mit jedem Jahr, das sie hier verbringen, verändert sich diese Einstellung allmählich. „Es gibt auch Frauen, die seit ihrer Ankunft in Deutschland kein einziges Mal zurückgefahren sind“, fügt Alieva hinzu. Besonders schwierig sei die Lage für Frauen aus den von Russland eroberten Gebieten.
„Wenn Russland eine Stadt erobert, bleibt nichts übrig“, erklärt sie. „Diese Frauen wissen nicht, wohin sie nach Kriegsende sollen, denn ihre Städte existieren praktisch nicht mehr.“ Manche haben noch die Hoffnung, dass sie eines Tages in ihre Heimat zurückkehren können. „Aber realistisch gesehen ist das leider nicht mehr für alle möglich“, sagt sie nachdenklich.
Arbeit im Garten: ein Stück Heimat
Neben diesen schweren Gedanken und Herausforderungen gibt es auch positive Erfahrungen. Neben Oksana haben drei weitere Ukrainerinnen einen Job gefunden und eine wird bald eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten beginnen. Ein paar Frauen sind noch im Deutschkurs, weil sie erst später einen Platz bekamen. Die Rentnerinnen gehen viel spazieren oder treffen sich mit Bekannten. Manche der Bewohnerinnen sprechen inzwischen gut deutsch und kümmern sich gerne um ihre Gemüsebeete im Klostergarten. „Viele von ihnen hatten in der Ukraine ein Haus mit Garten und sind es gewohnt, auf dem Land zu arbeiten“, erklärt Alieva. „Die Arbeit im Garten gibt ihnen ein Stück von Zuhause.“
Die permanente Unterstützung durch das Klosterteam wird als großer Vorteil wahrgenommen: „Für alles gibt es Ansprechpersonen – ob es um defekte Fenster, Arzttermine oder Alltagsprobleme geht.“ Auch das ruhige und friedliche Leben im Kloster wird von den Frauen sehr geschätzt. „Viele sagen mir, dass sie es hier sehr schön und beruhigend finden“, berichtet Anastasia Alieva. „Gerade für die älteren Frauen ist es wichtig, dass sie hier einen Ort der Ruhe gefunden haben, an dem sie in Sicherheit leben können.“
Unterstützen auch Sie unsere Arbeit in der Geflüchtetenhilfe.
Ihre Spende kommt dort an, wo sie gebraucht wird.
Spendenkonto: Dienerinnen der hl. Kindheit Jesu
IBAN: DE68 7509 0300 0503 0180 08
Verwendungszweck: Spende Geflüchtetenhilfe
oder mit Ihrer Banking-App einfach den QR-Code scannen