Ich bin Oberzeller Franziskanerin,
weil ich gerne weiterführen möchte, was Antonia Werr begonnen hat: Wege der Menschwerdung begleiten, mich persönlich berühren lassen von unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten, Aufstehen gegen Unrecht, mich für Frauen und für Menschen am Rande einsetzen, gerade dort, wo ihre Würde verletzt wird und sie sich nach Frieden und Heilung sehnen.
Mein Weg ins Kloster Oberzell war keine Entscheidung, die ich plötzlich traf. Vielmehr führte mich ein längerer Prozess des Suchens hierher. Nach meiner Ausbildung zur Krankenschwester arbeitete ich in verschiedenen Bereichen, bevor ich in der Palliativpflege eine besondere Aufgabe fand. Dort durfte ich Menschen in schweren Krankheitsphasen und am Lebensende begleiten – eine Erfahrung, die mich sehr bereichert hat. In dieser Zeit absolvierte ich auch eine Weiterbildung in Palliative Care und engagierte mich im Ethikkomitee, wo sich Fragen zur Würde des Menschen am Lebensende intensiv stellten.
Trotz meiner erfüllenden Arbeit spürte ich weiterhin eine Sehnsucht und mich beschäftigte die Frage, wie ich meinen Glauben leben kann. Eine prägende Zeit verbrachte ich dann für ein Jahr in Südafrika. Mein erster Kontakt zu Oberzell entstand durch ein franziskanisches Orientierungsjahr. Franziskus und sein Leben haben mich damals sehr berührt und er tut es auch heute noch. Die Umarmung des Aussätzigen, sein Blick auf die am Rande Stehenden, Unscheinbaren, Kleingemachten und so vieles mehr.
Genau das habe ich auch hier in Oberzell gespürt: Frauen, die sich für andere Frauen einsetzen, engagiert Partei ergreifen, nicht wegschauen, einfach da sind und Heilungswege mitgehen. Das Leben und das Miteinander der Oberzeller Schwestern berührte mich. Im Jahr 2009 entschied ich mich schließlich, in die Gemeinschaft einzutreten. Das bedeutete auch, dass ich für ein Jahr aus meinem Beruf ausstieg, um mich ganz auf das Noviziat einzulassen und in das klösterliche Leben hineinzuwachsen. Während dieser Zeit konnte ich im Rahmen eines Praktikums in einer unserer Einrichtungen – einer heilpädagogisch-therapeutischen Einrichtung für Mädchen und junge Frauen – Erfahrungen sammeln, die mich tief bewegt haben.
Ende 2010 traf ich zufällig eine ehemalige Kollegin, die mir von ihrer aktuellen Arbeit erzählte und mich einlud, für ein paar Monate zu „schnuppern“. Ihre Einladung war wohl mit dem Gedanken verbunden, dass ich ihre bevorstehende Schwangerschaftsvertretung übernehmen könnte. Von Dezember bis Februar 2011 war ich als Praktikantin in der Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete und spürte nach kurzer Zeit: Hier ist mein Platz, hier gehöre ich hin – als Oberzeller Franziskanerin und als Begleiterin jener, die Unterstützung brauchen. Ein Zitat von unserer Gründerin Antonia Werr begleitet mich seither und gibt meiner Berufung eine tiefe Bedeutung:
„Wahrlich! Solche Personen verdienen das größte Mitleid. Hier, wo die Menschenwürde gleichsam in Trümmern zusammengestürzt ist, wo Alles verloren zu sein scheint, ist Hülfe am dringensten. Solchen, auf dem Strome des Lebens Gescheiterten eine rettende Hand reichen zu können, die zerschellten Trümmer ihres göttlichen Ebenbildes durch sorgfältiges Zusammenfügen wieder zu ihrem ursprünglichen Zwecke herzustellen, sie selbst mit einem oft mehr unglücklichen, als tief verschuldeten Geschicke auszusöhnen, – welche herrliche, wenn auch höchst schwierige Aufgabe wäre dies!”
(aus den Statuten von 1857)
Genau das möchte ich in meinem Leben und meiner Berufung verwirklichen: Eine helfende Hand zu reichen, wo die Würde des Menschen bedroht ist. Seit 14 Jahren bin ich nun als Oberzeller Franziskanerin unterwegs, teile das Leben, Beten und Arbeiten mit meinen Mitschwestern. Mein Leben ist erfüllt von vielen Aufgaben: Ich arbeite als Krankenschwester in der Gemeinschaftsunterkunft und kümmere mich um geflüchtete Menschen, die mit uns auf unserem Klostergelände leben. Ich bin als Rätin Teil der Generalleitung und begleite als Formationsleiterin die Frauen, die zu uns in die Gemeinschaft kommen.
Getragen von den Idealen unserer Gründerin Antonia Werr und von Franziskus von Assisi bedeutet Solidarität für mich, bei den Menschen zu sein, die oft keine Stimme haben. Für mich ist es eine Herzensangelegenheit, die Würde jener zu schützen, die am Rande stehen – heute besonders auch die von Menschen auf der Flucht. Mein Ziel ist es, Hoffnung zu verbreiten und den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, ihm oder ihr mit Respekt und Liebe zu begegnen.