Ich bin Oberzeller Franziskanerin,
weil ich in unserer Gemeinschaft zwei meiner Herzensanliegen leben kann: die franziskanischen Haltungen des einfachen Lebensstils, der Geschwisterlichkeit und der Ehrfurcht vor der Schöpfung sowie Aufstehen und Eintreten für benachteiligte Frauen.
Eingetreten in unsere Gemeinschaft bin ich vor gut zehn Jahren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich an verschiedenen Orten in und außerhalb von Deutschland gelebt – alleine oder mit anderen zusammen – und 15 Jahre als Umweltingenieurin in einer international tätigen Beratungsfirma gearbeitet. Meinem Umfeld erschien es als unerwarteter und mutiger Schritt, dass ich ins Kloster ging – von der Großstadt München in das idyllische Kloster Oberzell am Stadtrand von Würzburg. Für mich fühlte es sich stimmig an.
Ordensleute waren mir seit meiner Jugend vertraut. Patres der Eucharistiner, die ich als sehr nahbar erlebte, waren Seelsorger in meinem Heimatort. Meine erste Begegnung mit Franziskanern hatte ich an Kar- und Ostertagen. Die Lebendigkeit, mit der wir damals die Osternacht gestalteten und feierten, kann ich noch heute in Erinnerung rufen. Ein tieferes Verständnis für die franziskanische Spiritualität gewann ich während eines sogenannten franziskanischen Orientierungsjahres. Eine Gruppe von etwa 20 jungen Erwachsenen war gemeinsam ein Jahr lang unterwegs, um sich mit dem eigenen Gottesbild, Elternbotschaften und natürlich mit Franziskus und Klara von Assisi zu beschäftigen. Begleitet wurden wir dabei von Franziskaner:innen verschiedener Kongregationen.
Ganz leise kam in mir die Frage auf, ob ein Ordensleben auch ein Weg für mich sein könnte. In diesem Jahr lernte ich eine Schwester aus Oberzell, den Ort selbst und den speziellen Auftrag der Oberzeller Franziskanerinnen kennen. Seitdem war ich immer wieder zu Veranstaltungen, zu Exerzitien und zur geistlichen Begleitung im Kloster Oberzell, wo mich besonders die Lebensfreude und das Engagement der Schwestern begeistert haben. Die Frage nach einem Leben als Ordensschwester war immer mal wieder präsent, oft aber auch weit weg. Irgendwann folgte ich dann meiner Sehnsucht nach dem »Mehr«, die mich nicht losließ, und ich trat bei den »Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu« ein, wie unsere Kongregation offiziell heißt. Dieser Name klingt etwas sperrig, bringt jedoch den Kern unserer Spiritualität zum Ausdruck. Gott hat sich klein gemacht und wurde als verwundbares Kind Mensch wie wir. Unser Anliegen ist, diesem Gott gerade in den klein gemachten, verwundeten Menschen zu begegnen und zu dienen.
Die Würzburgerin Antonia Werr gründete unsere Gemeinschaft 1855, um aus der Haft entlassenen Frauen zu helfen, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Dabei war es ihr ein Grundanliegen, die Würde dieser Frauen, die diese oft selbst nicht mehr wahrnehmen konnten, wieder aufzurichten, den Frauen ihre ureigene Würde wieder bewusst zu machen. Den Auftrag unserer Gründerin, Frauen und Mädchen in Not beizustehen, übersetzen wir immer wieder ins Heute, und nehmen dabei die Nöte unserer Zeit in den Blick. In unseren Einrichtungen werden Frauen und Mädchen in herausfordernden Lebenssituationen begleitet. So durfte ich während meines Noviziats im Praktikum in einer Wohngruppe für junge Frauen miterleben, wie unser Sendungsauftrag bis heute gelebt wird. Diese Erfahrung hat meinen Horizont erweitert und mein Bedürfnis gestärkt, die Stimme zu erheben gegen Ungerechtigkeiten Frauen gegenüber. Als Mädchen habe ich selbst Diskriminierung erfahren. Ich durfte nicht im Verein Fußball spielen und auch nicht Ministrantin werden. Beides war während meiner Kindheit in meinem Heimatort noch Jungen vorbehalten.
Unsere Kongregation stellt sich bei einem Eintritt unter anderem die beiden Fragen: »Was bedeutet es, dass gerade diese Frau nun zu uns kommt?« Und: »Was bringt diese Frau an Fähigkeiten, Kompetenzen, Leidenschaft mit, und wo kann sie diese gut zum Wohle der Gemeinschaft und der uns Anvertrauten einsetzen?« So wurde ich nach meiner zeitlichen Profess die Umweltbeauftragte unserer Kongregation, wofür extra eine Stelle geschaffen wurde. Auch damit antworten wir auf die Nöte unserer Zeit, denn viele Menschen blicken aufgrund der Erderwärmung mit Sorge auf die Zukunft. Heute bezeichne ich mich lieber als Mit-Welt-Beauftragte, denn wir alle sind Teil von Gottes Schöpfung und stehen nicht neben oder über ihr. Mir ist es ein Anliegen, meine Arbeit mit der geistlichen Dimension zu verbinden, denn die biblischen Texte und auch das Leben des Franz von Assisi zeugen immer wieder vom achtsamen Umgang mit allen Lebewesen. In meinem Handeln sehe ich auch einen Dienst für Frauen und Mädchen in Not, denn diese leiden in vielen Ländern besonders stark unter der Klimaerhitzung. Ich bin in der glücklichen Lage, meine Fähigkeiten und Kompetenzen einbringen und mit dem Auftrag unserer Gemeinschaft verbinden zu können und so im besten Sinne fruchtbar zu sein.