Franz von Assisi war Konformist und Kritiker in einem

Gedanken zum Franziskusfest am 4. Oktober – Weltbekannt sind Fresken von Giotto di Bondone in der Oberkirche von San Francesco in Assisi. Eines heißt: Der Traum von Innozenz III. Man sieht darauf den schlafenden Papstkaiser unter seinem Baldachin liegen, links daneben stützt Franziskus mit seiner Schulter die einstürzende Lateranbasilika.

1209 war Franziskus mit seiner auf 12 Brüder angewachsenen Gemeinschaft nach Rom gepilgert, um seine Regel bestätigen zu lassen. Papst Innozenz ließ ihn zunächst nicht vor. Erst durch Vermittlung von Kardinal Giovanni und nach dem nächtlichen Traum gab der mächtigste und reichste Papst der Kirchengeschichte den radikal armen Brüdern seinen Segen und erlaubte ihnen zu predigen.

Vieles von dem, was wir heute in der Kirche erleben, gleicht dem Alptraum von Papst Innozenz: Die Fundamente der Kirche sind in Schieflage geraten, durch die Aufdeckung der Missbrauchsskandale stürzen die Gebäude moralischer Überheblichkeit zusammen. Die Glaubwürdigkeit der ältesten weltweit agierenden Institution gerät ins Wanken.

Was können wir in dieser äußerst prekären Situation von Franziskus lernen? Er schafft einen schwierigen Spagat: Wie kein zweiter vor und nach ihm kritisiert er mehr noch durch seinen Lebenswandel als durch seine Worte Missstände in der Kirche. Reichtum, Machtstreben und Einsatz von Waffengewalt lehnt er ab. Er benennt die Probleme, die durch einen schlecht ausgebildeten Klerus entstehen und die Sünden der skandalösen Lebensführung von Priestern und Prälaten. Als er zum Festmahl bei Kardinal Ugolino in Rom geladen ist, brüskiert er die Herren und Exzellenzen damit, dass auch er seine erbettelten Speisen mit ihnen teilt.

Gegen den Rat und Wunsch des militanten Kardinal Pelagius, der das Kreuzfahrerheer befehligt, tritt Franziskus 1219 im ägyptischen Damiette in einen friedlichen Dialog mit dem Sultan Muhammad el Kamil. Für dieses Verhalten hätte er exkommuniziert werden können. Oder es hätte ihm und seinen minderen Brüdern ergehen können wie den Albingensern und Katharern. Sie wurden der Häresie angeklagt und massenhaft hingerichtet.

Wie gelingt es ihm also, sich selbst und dem Evangelium treu zu bleiben und gleichzeitig die Kirchlichkeit nicht zu verlieren? Es gelingt ihm zunächst erstens mit der radikalen Christusnachfolge. Weil Gott die Armut so sehr liebte, dass er selbst in Jesus arm wurde, könne man ihn am besten ehren, wenn man selbst arm lebt und die Armen liebt.

Es gelingt ihm zweitens mit dem festen Glauben an die Menschwerdung Gottes. Wenn Gott so demütig ist, dass er in Jesus Mensch wurde, dann darf man sich über keinen Menschen erheben. Deshalb ist Franziskus allen und allem untertan. Deshalb respektiert er jeden Menschen – und sei er noch so arm, verachtet oder ein Sünder. Das letzte Urteil überlässt Franziskus Gott.

Es gelingt ihm drittens mit der realistischen Selbsteinschätzung, dass er selbst auch ein Sünder ist, immer der Umkehr und Buße bedürftig und dass er selbst immer neu Maß nahmen muss am Leben Jesu.

In der Franziskusforschung gab es lange einen Streit darüber, ob Franziskus nun unangepasster Rebell ist oder gehorsamer und folgsamer Christ. Hat er nun die Kirche der Kleriker gestützt oder ist er mutig für mehr Freiheiten für Laien eingetreten? Hat er die offizielle liturgische Frömmigkeit geachtet oder kreativ eine religiöse Volkskultur entwickelt? War er nun der heiligen Mutter Kirche untertan oder ein im wahrsten Sinn des Wortes katholischer und apostolischer Mann? Die Wahrheit liegt in der Mitte. Er war beides zugleich. Konformist und Kritiker. Heldenhaft gehorsam und radikal revolutionär.

Wer heute authentisch aus dem Glauben an Jesus sein Leben gestalten und Mitglied der katholischen Kirche bleiben möchte, braucht vor allem eines: Ambiguitätstoleranz und -kompetenz, d. h. die Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten und damit kreativ, verletzlich und demütig umzugehen.

Margarete Schrader schrieb 1971 folgendes Franziskusgedicht:

Experimente

Liturgiereform – / Festkalender – / Beatmusik in der Agape – / Evolution vom schwarzen / zum grauen Rock, – / von der mittelalterlichen / zur modernen Schwesternhaube; – / periphere Leuchtfeuer, / die den Kern nicht treffen! //
Es genügt nicht, / die Zweige an den Enden / aufzupropfen, / wenn der Stamm, / an vielen Stellen morsch ist. //
Wir brauchen mehr: / Wir warten auf die Stunde X. / Wir warten auf Franziskus II. / Wir warten, dass der Schuss, / mitten in der Bewegung, / ins Schwarze trifft. / Wir warten auf die Umwandlung / in der Umwandlung, / auf Windstärke 1970/71. / Wir warten auf das / neue, tizianrote Pfingsten!

 (zitiert nach: Einhorn, Jürgen Werinhard, Franziskus im Gedicht. Texte und Interpretationen deutschsprachiger Lyrik 1900-2000, Kevelaer 2004, S. 130)

Momentan lebt einer Vatikan, der den Namen Franziskus trägt. Er versucht in vielem, es seinem Vorgänger gleich zu tun und den Spagat zu schaffen. Das wird er auf Dauer nicht durchhalten können. Es heißt, es herrsche Krieg zwischen ihm und der Kurie. Da bleibt nur zu hoffen und zu beten, dass das kirchliche Pfingst-Experiment in der Postmoderne gelingt!

 Sr. Dr. Katharina Ganz