„Leidenschaftlich leben in Gemeinschaft“. Unter diesem Thema haben sich 34 Generaloberinnen aus den deutschsprachigen Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz und Luxemburg) vom 18. – 22. Oktober in Innsbruck getroffen.
Frau Inge Metzemacher, Pastoralreferentin aus Köln, begleitete die Tage als Moderatorin und Referentin. Der Donnerstagabend stand unter dem Vorzeichen des gegenseitigen Begrüßens und Kennenlernens. Am Freitag, 19. Oktober, leitete Frau Metzemacher zunächst einen Bibliolog zur Begegnung von Maria und Elisabeth an. Wir wurden animiert, uns mit der eigenen Berufung auseinander zu setzen und nachzuspüren, wie wichtig das Gespräch mit anderen Frauen/Schwestern unterschiedlicher Generationen ist. In Kleingruppen tauschten wir uns aus zu den Fragen: Welche Bedürfnisse nehme ich bei mir in Bezug auf den Dialog in meiner Gemeinschaft wahr? Wie werden sie erfüllt? Wie nicht? Was bedeutet das für mein Ordensleben? Welche Sehnsüchte und welche Bedürfnisse nehme ich bei meinen jüngeren und älteren Mitschwestern wahr? Maria fand in Nazareth keine Ansprechpartnerin für das, was sie innerlich umtrieb, für den Dialog über ihre Glaubenserfahrungen. Wie gehe ich damit um, wenn in der eigenen Gemeinschaft (jüngere) Schwestern kein oder nur geringes Echo finden in ihrer Sehnsucht nach Dialog? Wie beschenken wir uns im Dialog? Ist in den Gesprächen etwas von der Leidenschaft für Gott und die Gemeinschaft zu spüren? Was wünsche ich mir anders? Wofür bin ich dankbar? Diese Fragen möchte ich gerne an Euch weitergeben und dazu einladen, sie Euch ebenfalls persönlich oder im Austausch mit anderen Schwestern zu stellen.
Am Nachmittag gab es ein Podiumsgespräch mit Schwestern aus drei verschiedenen Generationen. Im Mittelpunkt stand die Frage: „Was verbindet uns über Generationen hinweg?“ Im Anschluss sammelten wir wieder in Kleingruppen, worauf beim Miteinander der verschiedenen Generationen zu achten ist, damit wir leidenschaftlich in Gemeinschaft leben können. Als Stichworte wurden gesammelt:
– versuchen, alle Schwestern und Generationen einzubinden
– etwas zutrauen
– neue Blickwinkel einnehmen
– Anderssein zulassen
– unsere Sendung heute in den Blick nehmen
– sich Zeit nehmen füreinander
– auf der Suche bleiben
– einander Lebensräume ermöglichen
– Streitkultur und Versöhnungskultur lernen
– Unterschiede wahrnehmen und positiv schätzen
– gemeinsam den Willen Gottes suchen
– Verbindung zwischen den Generationen: voneinander lernen, Balance
suchen, Balance finden und Balance schaffen für Jüngere
– Ältere und sich selber, die Wirklichkeit wahrnehmen.
Am Abend schauten wir uns den Film der Regisseurin Theodore Melfi an: „Hidden Figures. Unerkannte Heldinnen“. Der Film ist 2016 entstanden und basiert auf dem Sachbuch der US-Amerikanerin Margot Lee Shatterly. Er handelt von drei afroamerikanischen Mathematikerinnen, die bei der Entwicklung des Raumfahrtprogramms der NASA in den 1960er Jahren eine wichtige Rolle spielten und dabei gegen die Diskriminierung als Frauen und Farbige ankämpften. Der Film kann Mut machen, als Frauen für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit einzutreten.
Am Samstag, 20. Oktober, wandten wir uns mehr unserer eigenen Rolle als Generaloberinnen unserer Gemeinschaften zu. Wir wurden eingeladen uns zu überlegen, in welchen Bildern oder Bezeichnungen wir uns am meisten wiederfinden. Zur Auswahl standen die Begriffe: „Mutter“, „Hirtin“, „Visionärin“, „Organisatorin“, „Chefin“ oder „Animateurin“.
Im Alltag gibt es vieles, was geregelt oder entschieden werden muss, wo Führung und Leitung erforderlich sind. Gleichzeitig ist immer im Blick zu halten, dass wir nicht einfach ein Wirtschaftsunternehmen sind und das Amt nicht auf einen Managerposten reduziert werden kann. Deshalb finde ich die Bezeichnungen „Organisatorin“ oder „Chefin“ nicht stimmig. Das Bild der „Mutter“ irritiert mich, weil es nahelegt, dass es neben einer „Mutter“ auch „Kinder“ gibt, wir als Gemeinschaft aber eine Vereinigung erwachsener, mündiger Menschen sind. Auch das Bild der „Hirtin“ passt für mich nicht ganz. Bei den „Ich-bin-Worten“ im Johannes-Evangelium sagt Jesus von sich selbst: Ich bin der gute Hirt, das Brot, die Tür, das Licht… Er fordert uns auf, Licht der Welt und Salz der Erde zu sein, aber an keiner Stelle: Seid Hirten oder Hirtinnen, da er allein der gute Hirte ist. Der Auferstandene fordert Petrus auf, „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!“ Die Gemeindemitglieder, denen Petrus vorsteht, sind nicht „seine Lämmer und Schafe“, sondern die Herde Jesu. Petrus besitzt die Herde nicht. Sie ist ihm anvertraut. Am meisten befremdet mich an der Metapher, dass sie von ungleichen Gegebenheiten ausgeht: Da steht auf der einen Seite der Hirte – ein Mensch, auf der anderen Seite die Schafe – Tiere. Sicher braucht es im Leitungsamt visionäre Kraft, um vorangehen zu können. Andererseits nützt es nichts, wenn nur eine Schwester klare Visionen oder Ziele hat, solange nicht andere Schwestern ihre Idee mittragen und ein gemeinsames Projekt entsteht.
So habe ich mich schließlich zur Gruppe der „Animateurin“ gestellt. In dem Wort „Animateurin“ steckt das lateinische Wort „anima“. Das bedeutet „Seele“. Wer andere führen will, muss die Seele, also das Wesen der einzelnen Schwestern zu erfassen versuchen, aber auch der Gemütslage und Seelenverfassung in der gesamten Gemeinschaft nachspüren. Darüber hinaus braucht es Impulse und Anregungen, damit sich Einzelne oder Konvente weiterentwickeln können. Der Begriff „Animateurin“ beinhaltet für mich am besten die Mischung aus geistlicher Leitung und Verantwortung in der Geschäftsführung einer Kongregation.
In einer weiteren Kleingruppe fragten wir uns: Wie ist es mir mit der Rollenfindung gegangen? Welches Amtsverständnis habe ich als Generaloberin? Was motiviert mich in meiner Amtsführung? Was demotiviert mich? Wie beschreiben die Konstitutionen das Amt? Erlebe ich die Beschreibung als realistisch, hilfreich, motivierend? Wie kann ich das Amt so ausüben, dass es der Gemeinschaft verhilft, leidenschaftlich zu leben?
Am Sonntag, 21. Oktober, machte die Versammlung schließlich einen Ausflug zur Stiftskirche in Wilten, einem Stadtteil von Innsbruck. Hier befindet sich ein Prämonstratenser-Chorherren Stift, das nach der Durchreise von Norbert von Xanten durch den Brixener Bischof Reginbert 1138 gegründet worden ist. Damit ist die Anlage zehn Jahre jünger als Kloster Oberzell. Nach dem Festgottesdienst zum Kirchweihjubiläum begrüßte Abt Raimund Schreier unsere Versammlung. Wir aßen im Kulturgasthaus Bierstindl zu Mittag und wurden anschließend von einem Bruder durch das Stift geführt. Ähnlich wie unser Kloster Oberzell wurde Stift Wilten in der Barockzeit erweitert und erhielt prunkvolle Räume und Kirchenausstattung. Aus der ersten Bauzeit des Klosters ist jedoch der romanische Kreuzgang erhalten. Während der kirchenfeindlichen Zeit des Josephinismus in Österreich mussten die Chorherren aus dem Stift ausziehen, der Konvent blieb aber durchgehend bestehen. Heute besteht das Stift aus 14 Prämonstratensern. Interessant für mich waren die zum Teil ähnlichen Bauelemente und Ausstattungen. So befindet sich an einem linken Seitenaltar der Stiftskirche zum Beispiel ebenfalls eine Kopie von Raffaels Madonna di Foligno wie am linken Seitenaltar in unserer Kirche.
Sr. Dr. Katharina Ganz
Generaloberin