Hamsterrad verlassen

Seit April lebt und arbeitet Sophie Schimmerohn im Kloster Oberzell. Wie eine Ordensschwester nimmt sie am Konvents- und Klosterleben teil – aber auf Zeit. Sophie nimmt sich ein Jahr Auszeit vom Alltagsleben.

Seit April arbeite ich im Antoniushaus als Betreuungsassistentin. Seitdem darf ich das Kloster Oberzell mein temporäres Zuhause nennen. Durch meine Teilnahme am Freiwilligen Ordensjahr (FOJ) habe ich die wunderbare Gelegenheit, das Ordensleben praktisch und von innen kennenzulernen, mit den Schwestern vom Konvent Magdala zusammenzuleben und Gemeinschaft zu teilen. Das bedeutet für mich gleichzeitig eine persönliche Auszeit vom Hamsterrad aus Lohnarbeit und Konsum, wie ich es gerne nenne.

Ich weiß nicht mehr genau, wie ich auf das FOJ gestoßen bin; ich habe wohl „Auszeit“ und „Kloster“ in eine Online- Suchmaschine eingegeben. Das war Ende 2019. Ich arbeitete zu dieser Zeit an einer Ganztagsschule in Stuttgart und lebte allein in einer schönen Wohnung in Waldnähe. In den Jahren zuvor hatte es einige Umbrüche in meinem Leben gegeben. Ich hatte mich gut in meinem Leben eingerichtet, fühlte mich wohl – und dennoch: Es fehlte mir an Tiefe, ich spürte: Da ist noch so viel zu entdecken, aber ich komme nicht dazu.

Ich bin evangelisch. Meinen Konfirmationsspruch habe ich mir selbst ausgesucht: „Selig sind, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.“ (Matthäus 5,6). Einen engen Bezug zur Kirche hatte ich nie. Gleichwohl tauchten immer wieder (Glaubens-)Fragen in mir auf, die sich im Alltag oft verdrängen ließen, aber immer da waren und mitschwangen.

Skepsis am Anfang
Zunächst war ich skeptisch – das FOJ wird nur von katholischen Gemeinschaften angeboten. Passe ich da rein? Ich traf mich mit Schwester Maria Stadler von den Missionarinnen Christi, die das Projekt koordiniert. Ich wurde sehr herzlich aufgenommen und erzählte Schwester Maria von meinen Vorstellungen. Ein Wochenende im Konvent Magdala folgte, und es war voller guter Eindrücke. Viele Vorurteile, die ich in Bezug auf das Ordens- und auf katholisches Leben hatte, wurden dadurch im Handstreich weggewischt. Ich erlebte eine große Offenheit, die mich überraschte und die mir sehr angenehm war. Inhaltlich war mir das Kloster Oberzell gleich sympathisch gewesen, da der Orden von einer starken Frau gegründet wurde und ich den Eindruck habe, dass er immer noch vom Engagement starker Frauen lebt. Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen glaube ich an die Kraft weiblicher Solidarität. Ich bin dankbar, hier so herzlich aufgenommen worden zu sein, und freue mich auf die Zeit, die noch kommt.

Rückschau und Rückzug
Ob ich auch etwas vermisse? Manchmal vermisse ich meine kleine Dachwohnung und die Freiheiten, die das Wohnen alleine mit sich bringt. Ich bin ein Mensch, der gut mit sich allein sein kann und dies regelrecht braucht. Gleichzeitig genieße ich die Gemeinschaft im Konvent Magdala sehr, bin aber überzeugt, dass ich immer wieder aufs Neue für mich selbst aushandeln werden muss, wie viel Gemeinschaft ich brauche, aber auch wie viel Rückzug. Das beschreibt meine uralte Suche nach der Balance zwischen Nähe und Distanz. Durch mein neues Leben sind auch einige Freiheiten dazu gekommen – nicht zuletzt habe ich hier deutlich mehr Zeit gewonnen, beispielsweise weil der Arbeitsweg wegfällt und wir uns im Konvent die Hausarbeit aufteilen. Die gemeinsamen Gebetszeiten im Konvent und die kleinen und großen Feste, die ich hier mitmachen darf, erlebe ich als eine Bereicherung und persönliche Anregung. Gleichzeitig bin ich froh, dass niemand von mir verlangt, überall dabei zu sein, so dass ich selbst entscheiden kann, wo ich teilnehmen will und wo ich mich lieber zurückziehe. Überhaupt erlebe ich es als sehr positiv, dass ich überall eingeladen bin, dies aber ohne jeglichen Druck geschieht, sondern mir zugetraut wird, selbst entscheiden zu können, was für mich Sinn hat.

Um mich im Ordensjahr zu finanzieren, bin ich auf die Arbeit als Betreuungsassistentin im Antoniushaus gestoßen. Zu meinen Aufgaben gehören die Begleitung der Bewohnerinnen im Tagesablauf (beispielsweise bei den Mahlzeiten) und die Aktivierung in Form von gemeinsamem Zeitungslesen, Singen, Basteln etc. Auch besuche ich Bewohnerinnen auf ihrem Zimmer, spreche mit ihnen oder lese ihnen vor. Ich habe die Bewohnerinnen schnell in mein Herz geschlossen und bin froh über die weitestgehend ruhige Arbeit. Sie fordert mich dennoch auf eine andere Art, als ich es in meinem bisherigen Leben gewohnt war.

Zur Person
Nun noch ein paar Infos zu mir: Geboren bin ich im Sommer 1989 in Berlin- Pankow, noch hinter dem Eisernen Vorhang, der zum Glück bald darauf fallen sollte. Ich habe drei jüngere Brüder. Mein Abitur legte ich in Potsdam ab. Anschließend arbeitete ich für ein Jahr als Freiwillige in einem Altenheim in Norditalien. Kaum überraschend, verliebte ich mich in dieses schöne, jedoch aktuell so gebeutelte Land, sodass ich mich später im Rahmen meines Studiums für ein weiteres halbes Jahr in Italien aufhielt. Studiert habe ich in Berlin das Fach Heilpädagogik. Danach verschlug es mich der Liebe wegen nach Baden-Württemberg. Nun lebe ich schon fast sechs Jahre in Süddeutschland. Die letzten Jahre habe ich mit Kindern gearbeitet, zunächst im Kindergarten, später im Grundschulbereich. Besondere Freude macht mir die Musik. Neben dem Singen mag ich Klarinette, Gitarre, Low Whistle (Flöte) … und vor langer Zeit einmal spielte ich den E-Bass in einer Band. Auch könnte ich mir ein Leben ohne Papier, Stifte, Pinsel, Farben und Bücher nur schwerlich vorstellen. Zudem koche ich mit Hingabe, gerne scharf und mit zehenweise Knoblauch, wenn man mich lässt, und bewege mich in der Natur, am liebsten am und im Wasser.

Gerne würde ich mehr und mehr die werden, die ich bin. Meinen Platz in der Welt finden. Auf Flugzeuge will ich nach Möglichkeit verzichten, aber Georgien und den Balkan möchte ich gerne irgendwann bereisen. Und wer weiß, vielleicht lerne ich ja doch irgendwann das Stricken. Diesbezüglich bin ich hier in Oberzell in den allerbesten Händen!

Sophie Schimmerohn

 

Freiwilliges Ordensjahr
Nachdem es in Österreich mit großem Erfolg eingeführt worden war, startete 2019 das Freiwillige Ordensjahr auch in Deutschland. Die Missionarin Christi Schwester Maria Stadler betreut das Projekt unter dem Dach der Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK): „Es ist ein Angebot, sich zusammen mit Christen, die diesen Glauben in einer besonderen Form leben, auf den Weg zu machen, ihr Leben eine Zeitlang zu teilen und sich gegenseitig zu bereichern.“ Mögliche Interessent*innen nehmen zuerst mit Schwester Maria Kontakt auf, die versucht deren Motivation zu klären und herauszufinden, welche Gemeinschaft die richtige sein könnte. Dazu hat sie im Vorfeld alle Gemeinschaften besucht, die sich an dem Projekt beteiligen und die jeweilige Spiritualität, Sendung, das Gebetsleben, den Alltag und vieles mehr kennengelernt. Erst nach diesen Vorgesprächen kommen Interessierte direkt in Kontakt mit der Ordensgemeinschaft. Weitere Informationen finden sich unter www.ordensjahr.de